Raimundus Lullus – Dialog mit den Wissenschaften – Dialog der Religionen (aktualisiert)

Auf den 700. Todestag vorausblickend:
Plakat auf der Frankfurter Buchmesse 2015

Der Mallorquiner Ramon Llull (1232-1316), so sein
katalanischer Name (mittelalterliche Schreibweise: Lull oder Lullus), gehört zu
den faszinierendsten, genialen, aber durchaus auch ambivalenten Gestalten auf
der Bruchlinie zwischen Christentum und Islam, die sich auch durch seine Heimat
zog, die Insel Mallorca. Llull gehört zur ersten Generation derer, die wieder
eine christliche Herrschaft auf dieser Mittelmeerinsel erlebten.
Aber was noch wichtiger ist: Überzeugt
vom christlichen Glauben als wahrem Heilsweg, sieht er die Möglichkeit, über
durch Vernunft gelenkte Diskurse mit Menschen anderen religiöser Traditionen
diese zu der Wahrheit des christlichen Glaubens hinzuführen. Hinter dem
Gottesglauben von Juden und Muslimen, sieht er nämlich den einen Gott, der die
ausgeformten Religionen übersteigt.
Damit gehört er zu den ersten christlichen
Theologen überhaupt, die sich auf einen ehrlichen Dialog mit dem Islam
einlassen. Er wagt es denkend zu argumentieren, dass Juden, Christen und
Muslime an den einen Gott glauben, dass sie der gemeinsame Monotheismus trotz
aller Unterschiede verbindet. Allerdings möchte er dies mit Hilfe der Trinität
als hermeneutischem Kriterium nachweisen. Das zeigt sein christliche
Missionsintention, aber auch die konsequente Ablehnung von Gewalt und
Zwangsbekehrung von Muslimen, die er ja auf Mallorca unmittelbar erlebte.
Gleichzeitig lässt sich eine Aktualität des Dialogisierens entdecken, zumal
gerade heutige Theologen wie Raimon Panikkar und Jürgen Moltmann diesen Versuch
unter heutigen Bedingungen wieder aufnehmen.

Annemarie Mayer:
Drei Religionen – ein Gott.

Ramon Llulls interreligiöse Diskussion
der Eigenschaften Gottes.


Freiburg u.a.: Herder 2008, XII, 481 S.



Die Mitarbeiterin am Institut für
Ökumenische Forschung in Tübingen, Annemarie Mayer hebt mit der Zielrichtung
ihrer Arbeit genau auf dieses interreligiöse Interesse ab und sieht in der
Diskussion Llulls um die Eigenschaften Gottes, wie sie Juden, Christen und
Muslime sehen, die Chance nicht nur eine theologiegeschichtliche Habilitation
zu schreiben, sondern einen Beitrag zu einem fundierten interreligiösen Diskurs
der Abrahamsreligionen,
um damit „eine Auseinandersetzung mit der Position
Lulls vor dem Hintergrund der Gegenwartstheologie“ (S. 41) zu leisten. Dieser
dialogischen Ansatz wird nun schwerpunktmäßig an Lulls „Buch vom Heiden und den drei Weisen“ / Llibre del gentil e dels tres savis ( = Heide, Jude, Christ,
Sarazene/Muslim)
durchgespielt, indem nicht einfach die Eigenschaften Gottes im Christentum, Judentum und Islam referiert werden, sondern so, 
dass das „Dass“
und das „Wie“ der Existenz Gottes

in verschiedenen Glaubensaussagen, damit auch
an den jeweiligen Glaubensbekenntnissen der drei Religionen, geprüft wird. Die
fast raffinierte hermeneutische Methode Llulls besteht nun darin,
Substanz-Aussagen nicht als endgültig zuzulassen, sondern die Eigenschaften
Gottes in ihre jeweiligen Relationen – und das heißt auch, in den betreffenden
Weltbezug zu setzen. Der „arabische“ Christ Llull versucht auf diese Weise die
anti-trinitarische Argumentation im Islam auszuhebeln, ohne in anti-islamische
Polemik zu verfallen.
Nachdem Annemarie Mayer den
unterschiedlichen Ebenen von Eigenschaften und Existenz Gottes in Llulls Argumentation
sorgfältig nachgegangen ist und auch die verschiedenen, oft genug abweichenden
Äußerungen von Llull-Forschern miteinander verglichen hat, stellt sie die
Frage, ob Juden, Christen und Muslime an denselben Gott glauben: 

„Lull
beantwortet diese Frage zwar mit Ja. Er nimmt nicht verschiedene Monotheismen
in Judentum, Christentum und Islam an. Allerdings geht er dennoch von
erheblichen Unterschieden im Gottesbild dieser drei Religionen aus: Lulls Gott,
der christliche Gott, ist Person und handelt. Trifft dies auch auf Allah und
Jahwe zu? Laut Lull insofern nicht, als im Islam und Judentum Gott die Momente
des Mitseins und der Relationalität fehlen! Der trinitarische Gott offenbart
sich (auch in der Schöpfung) und ist mit der Welt solidarisch … Der Vorwurf
Lulls an die anderen beiden Religionen lautet: 

In ihrem Gottesdenken sei Gott
nicht ab aeterno gut, da er vor der
Schöpfung nur als potentiell gut gedacht werde; das bonum müsse aber immer diffusum
sui
sein, da dies sein Wesen ausmache“ (S. 415).
Das heißt doch nichts
anderes, als dass Gott mit seinen verschiedenen Eigenschaften logischerweise
konsequent nur trinitarisch sein kann. Juden und Muslime berücksichtigen zu
wenig, dass die Wesenzüge Gottes sich in seiner Offenbarung (als relational) realisieren.
Diese Argumentation sichert Llull über die Seinslehre (Ontologie) ab und
verbindet die Frage nach dem Heil mit der religiösen Wahrheit, die einzig und
nicht vielfältig ist. Den damit eigentlich unvermeidlichen Konflikt mit dem
Islam und dem Judentum entschärft er dadurch, dass er Wahrheit auch in anderen
Religionen erkennen kann, ähnlich wie schließlich im 20. Jh. das 2.
Vatikanische Konzil argumentierte.
Historisch sei angemerkt, dass Llull selbst unter dem König
Jaime II. erreicht hatte, dass 1276 an der Westküste Mallorcas, in Miramar, ein Kolleg errichtet wurde, in
dem die Mönche orientalische Sprachen lernten und mit den Bräuchen anderer
Völker vertraut gemacht wurden, um sie schließlich zum Christentum durch
Überzeugungskraft zu bekehren. Dazu schrieb er ein praktisch-theologisches
Programm, die „Ars Magna“, in der die
Grundpositionen des Llibre del gentil
wieder auftauchen.
Annemarie Mayer bestätigt im Grunde mit
ihrer Arbeit, dass Llulls religions-ökumenische Theologie darin gipfelt, allen
Menschen das Beste dieser und jener Welt anzubieten, so wie es Christus von
Gott her gelehrt hatte. Er entwickelte von daher nicht nur eine mögliche Umorganisation
der Kirche und des Vatikans, sondern auch Gedanken einer Weltkonferenz für den
Frieden, eines überstaatlichen Gremiums, das die moralische Kraft und Qualität
hätte, den Weltfrieden zu sichern. In diesen Überlegungen spiegeln sich bereits
Gedanken eines Parlaments der Weltreligionen
(CPWR,)
wie dies 1893, dann 1993 jeweils
in Chicago, 1999 in Kapstadt und schließlich 2004 in Kataloniens Hauptstadt
Barcelona praktisch wurde. Mission und Bekehrung der Andersgläubigen blieb zwar
weiterhin Llulls Ziel, allerdings ohne die Anwendung von Gewalt, allein durch
das dialogische Gespräch. Dieses ist darum möglich, weil nach Llulls Auffassung
Christen, Muslime und Juden menschlich auf derselben Ebene stehen und sich
darum ganz frei mit dem Heilsangebot in Jesus Christus auseinandersetzen
können.
Für diese umfassende und sorgsam –
gerade auch an den katalanischen Quellen – recherchierte Habilitation kann man
im Blick auf das heutige interreligiöse Gespräch nur dankbar sein, sieht man
doch trotz aller theologischen Polemik und Verurteilungen eine Linie des Dialogischen
seit dem Mittelalter bis in die Gegenwart wirken, und zwar auf der Ebene des
Respekts auf der Basis unbestrittener gleichwertiger Menschlichkeit, welcher
Religion auch immer die Gesprächspartner angehören mögen. Dies hat Annemarie
Mayer an Ramon Llull deutlich herausgehoben.



Vgl. auch Peter Walter (Freiburg/Br.):
Muss(te) Raimundus Lullus scheitern?
Die Möglichkeiten des Religionsdialogs damals und heute(aaO S. 50-67).
In: Ludger Lieb / Klaus Oschema / Johannes Heil (Hg.):
Abrahams Erbe: Konkurrenz, Konflikt und Koexistenz der Religionen
im europäischen Mittelalter.

Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung.
Beiheft 2. Berlin: De Gruyter 2015, 632 S., Register



Das Buch vom Freund und dem Geliebten.
Katalanisch-Deutsch
Hamburg-Lehmweg 2016, 233 S.
  • Ramon Llull – 700 Jahre: 1316 – 2016
    Liebender und Geliebter (SZ online, 29.08.2016)
  •  Ramon Lull: Buch vom Heiden
    und den drei Weisen. 
    Freiburg u.a.: Herder 1986 – mit Kommentaren von
    Raimon Panikkar, Anthony Bonner, Charles Lohr, Hermann Herder.  
  • Ramon Llull: Buch vom Heiden und den drei Weisen.
    Stuttgart: Reclam 1998

     Rezension in der FAZ, 14.08.1998  
  • Lulle et la condamnation de 1277. La Déclaration de Raymond écrite sous forme de dialogue.
    Louvain-La-Neuve, Leuven, Paris 2006.
  • Celia Lopez: Messianism as a Philosophical Problem: The Liber de Aduentu Messiae by Ramon Llull
    In: academia.edu =
    Medieval Encounters (Brill) 2018, 435-502
  • Amador Vega: Ramon Llull
    y el secreto de la vida

    (Llull und das Geheimnis des Lebens).
    Madrid: Siruela 2002

    Der Religionsphilosoph
    A. Vega (Barcelona) beschreibt Ramon Llull unter drei Gesichtspunkten:
    1. Geheimnis des Lebens:
        Konversion, Studium, Kontemplation, Botschaft
    2.  Weisheit und Kompassion

    3.  Durchbruch 
    zu einer „Alchemie der Sprache.“

Katalanische Auswahl-Ausgabe der Werke Ramon Llulls, Hg. Antoni Bonner
Palma de Mallorca: Editorial Moll 1989, 2 Bände

Weitere Literaturhinweise

  • Reinhard Kirste: Spuren einer größeren Ökumene. Ramon Llull und Mallorca.
    In Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): 
    Hoffnungszeichen globaler Gemeinschaft. 

    Ramon-Llull-Denkmal in Palma de Mallorca



    Religionen im Gespräch Bd. 6 (RIG 6). Balve: Zimmermann 2000, S. 390-395.

    — Download als PDF-Datei: hier

  • Amy M. Austin / Mark D. Johnston (eds.): A Companion to Ramon Llull
    and Llulism

    Leiden (NL): Brill 2018, XVI, 558 pp.
  • Peter Bexte / Werner Künzel: Die Ars des Raimundus Lullus. Eine mediterrane Kommunikationslogik. In: Gereon Sievernich / Henrik Budde (Hg.): Lesebuch zur Ausstellung
    „Europa und der Orient“. Ausstellung der Berliner Festspiele.
    Berlin 1989, S. 38-42
  • Peter Bexte / Werner Künzel: Die Ars des Raimundus Lullus.
    Berlin 1989 — Exzerpt: hier
  • Knut Martin Stünkel: Una sit religio.
    Religionsbegriffe und Begriffstopologien bei Cusanus, Llull und Maimonides.
    Würzburg: Königshausen & Neumann 2013, 210 S.
  • Itinerarios Históricos en las Islas Baleares
    im Zusammenhang von
    Conquista y Reino Privativo — La Ruta de Ramon Llull
Reinhard Kirste 


CC 
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