Wolfgang Huber: Menschen, Götter und Maschinen. Eine Ethik der Digitalisierung.
München: C H Beck 2022, 207 S.
— ISBN 978-3-406-79020-1 —
Wolfgang Huber (*1942) war Professor für Theologie in Berlin, Heidelberg und zugleich Vorsitzender des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland von bis 2003 bis 2009 sowie u.a. Mitglied des Deutschen Ethikrats. Er engagiert sich im Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik und wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Max-Friedländer-Preis, dem Karl-Barth-Preis und dem Reuchlin-Preis.
Zuletzt erschien von ihm die Biographie „Dietrich Bonhoeffer. Auf dem Weg zur Freiheit“. München: C.H.Beck Paperback 2021.
— Wolfgang Huber (wikipedia)
— Homepage von Wolfgang Huber
— Literatur von Wolfgang Huber (Amazon)
— Vgl. Dossier: Weltethos – Goldene Regel – weltweite und interreligiöse Verantwortung
Verlagsinformation
„Die Digitalisierung hat unsere Privatsphäre ausgehöhlt, die Öffentlichkeit in auseinanderdriftende Teilöffentlichkeiten zerlegt, Hemmschwellen gesenkt und die Grenze zwischen Wahrheit und Lüge aufgeweicht. Der bekannte Theologe Wolfgang Huber beschreibt pointiert diese technische und soziale Entwicklung und zeigt an vielen anschaulichen Beispielen, wie und nach welchen Maßstäben wir die Digitalisierung selbstbestimmt und verantwortlich gestalten können.
Die Haltungen zur Digitalisierung schwanken zwischen Euphorie und Apokalypse: Die einen erwarten die Schaffung eines neuen Menschen, der sich selbst zum Gott erhebt. Andere befürchten den Verlust von Freiheit und Menschenwürde. Wolfgang Huber wirft demgegenüber einen realistischen Blick auf den technischen Umbruch. Das beginnt bei der Sprache: Sind die «sozialen Medien» wirklich sozial? Fährt ein mit digitaler Intelligenz ausgestattetes Auto «autonom» oder nicht eher automatisiert? Sind Algorithmen, die durch Mustererkennung lernen, deshalb «intelligent»? Eine überbordende Sprache lässt uns allzu oft vergessen, dass noch so leistungsstarke Rechner nur Maschinen sind, die von Menschen entwickelt und bedient werden. Notfalls muss man ihnen den Stecker ziehen. Wolfgang Huber zeigt in seinem wunderbar klar geschriebenen Buch, wie sich konsensfähige ethische Prinzipien für den Umgang mit digitaler Intelligenz finden lassen.“
In Kap. 1. skizziert Huber das digitale Zeitalter prägnant mit einer „Zeitenwende“ alsBeginn einer neuen Ära (S. 11ff.) – größer als diese durch „Krieg und Pandemie“ entstandene. Der Buchdruck bedeutet eine Jahrtausend-Innovation, der die bisherigen Kommunikationsmöglichkeiten ablöst und radikal verändert, aber dann schon im 19. Jahrhundert das Ende des Buchzeitalters ahnen lässt.
Vgl dazu. Marshall McLuhan:The Gutenberg Galaxy, London 1962. University of Toronto Press 2002
Deutsche Ausgabe: Die Gutenberg-Galaxis. Das Ende des Buchzeitalters. Bonn: Addison-Wesley 1995 u.ö.
Das Diskurssystem der Goethe-Zeit – um 1800 war noch von Diskursen geprägt, die sich auf die Autorschaft und die kommentierende und weiterführende Lektüre (Re-Lektüre) bezogen. Das bedeutete u.a. die Autorität des Autors zu akzeptieren. Schon Schleiermacher betonte jedoch, es gelte, einen Schriftsteller besser zu verstehen, als er sich selber verstanden habe. McLuhan sieht darum um 1900 den „Sturz des Diskurssystems der Goethezeit“ besiegelt, denn das Aufschreib-System verändert sich hin zu einer Psychotechnik; und durch Entwicklung des mechanischen Speicherns für Schrift, Bild und Ton wird eine „Zeitenwende“ eingeleitet. Die „drei Urmedien“ dieser Gründerzeit sind das Grammophon, der (Kino-)Film und die Schreibmaschine. Diese sind von ihren technischen Voraussetzungen her in der Lage die „Sektoren von Akustik, Optik und Schrift“ auseinander zu nehmen und zu differenzieren.
All diese großen Innovationen beginnen übrigens schon mit Rechen-Maschine von Leibniz im Jahr 1673, aber erst 1935 läuft bei IBM die Schreibmaschinenherstellung in großem Stil an. Dem folgen unmittelbar danach die Rechner-Entwicklungen von Konrad Zuse 1938.
Auf diesen „Vorgängern“ bauen die Programmierer in Silicon-Valley seit 1970 ihre Hardware- und Software-Programme und vervollkommnen sie weiter. Und heutzutage sind Laptops, Smartphones usw. in der Weltbevölkerung selbstverständlich verbreitet.
Im Kap. 2 „Zwischen Euphorie und Apokalypse“ denkt Huber u.a. über eine gemeinsame Sprache nach (vgl. 1. Mose 11,9 im Blick: derzeitige Übersetzungsprogramme wie z.B. DeepL, Google. Übersetzungsprogramme machen es uns möglich, dass wir uns in fremden Sprachen sicher bewegen und über Grenzen hinweg kommunizieren (S. 32ff).
In Kap. 3. „Digitalisierter Alltag in einer globalisierten Welt“ präsentiert der Autor ausgesprochen lesenswert beginnend mit den E-Mails 1984, Facebook 2004 und YouTube 2005 sowie dem i-phone 2007. Sie dienen als Basis globaler Kommunikation (S. 45 ff.).
Prägnant skizziert er dann im Kap. 4 „Grenzüberschreitungen“ und
Kap. 5. „Die Zukunft der Arbeit“: Im Abschnitt„Industrielle Revolutionen“ hebt er mit der
4. technologischen Revolution — Arbeit 4.0 – den auch heute noch relevanten Begriff „Beruf“ , den bereits Martin Luther thematisierte (S. 85).
— Bei Ethik 4.0 geht es um das Zeitalter der digitalen Transformation.
In Kap. 6. „Digitale Intelligenz“ diskutiert Huber diesen Begriff im Kontext von „Artificial- Künstliche Intelligenz“. Er empfiehlt dazu ethische Prinzipien besonders in der Medizin als Beispiel.
Huber skizziert schön in Kap. 7, wie „Die Würde des Menschen im digitalen Zeitalter“ herausgefordert wird, und zwar durch Trans- und Posthumanismus. Er empfiehlt darum von automatisch statt von autonom im Maschine-Mensch-Verhältnis und im Kontext eines „Humanismus der Verantwortung“ zu spechen (167ff.).
Abschließend im Kap. 8 „Die Zukunft des Homo sapiens“ kritisiert er logisch konsequent die „Vergöttlichung des Menschen“ wie bei Harari als „Homo deus“ der auf eine Veränderung der Menschheit zielt (s.u. Anm. 1). Hubers Ideen zur Zukunftsfähigkeit des homo sapiens sapiens sind brillant geschrieben und bieten lesenswerte Denkanstöße.
Ein hilfreiches, umfassendes Literatur- und Personenregister (S. 193ff.) ergänzt die erhellenden Erkenntnisse dieses lesenswerten Buches.
Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn
Anmerkung 1
„Homo Deus – Eine Geschichte von Morgen“ (hebräisch: ההיסטוריה של המחר)
ist ein Sachbuch von Yuval Noah Harari, Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem.
Es ist 2015 in Israel zuerst in hebräischer Sprache erschienen. Die vom Autor selbst übersetzte englische Fassung kam 2017 auf den Buchmarkt mit dem Titel:
- Homo Deus. A Brief History of Tomorrow. New York: Vintage [Random House] 2017, 528 pp.
- Deutsche Übersetzung: Homo Deus. Eine Geschichte von Morgen.
München: C.H.Beck 2017, 2020, 16. Aufl. - Weitere Informationen
Das Werk befasst sich mit den Fähigkeiten, die der Mensch im Laufe seiner Evolution erworben hat, und mit seiner Entwicklung zur dominierenden Spezies auf der Erde. Harari versucht anhand der aktuellen Fähigkeiten und Errungenschaften der Menschheit ein dystopisches Bild der Zukunft zu zeichnen und erörtert philosophische Fragen bezüglich Humanismus, Individualismus, Transhumanismus und Sterblichkeit. Er hält die Entstehung eines uns überlegenen Menschentypus für möglich, den er „Homo Deus“ nennt. Dabei nimmt er nicht nur auf den Kulturraum der Westlichen Welt Bezug, sondern auch auf andere regionale Kulturräume und deren Epochen.
Wie wird es dem Homo Sapiens ergehen, wenn er einen Technik verstärkten Homo Deus erschafft, der sich vom heutigen Menschen deutlicher unterscheidet als dieser vom Neandertaler? Was bleibt von uns und der modernen Religion des Humanismus, wenn wir Maschinen konstruieren, die alles besser können als wir? In unserer Gier nach Gesundheit, Glück und Macht könnten wir uns ganz allmählich so weit verändern, bis wir schließlich keine Menschen mehr sind.
- Homo Deus: Eine Geschichte von Morgen. München: C.H.Beck 2017, 2020, 16. Aufl) -2020, 576 S.
- Zukunft des Menschen. Wir werden Götter sein (Guido Mingels, Der Spiegel online, 23.03.2017)
- Susanne Billig: Warum der Mensch sein eigener Gott ist (Deutschlandfunk, 21.02.2017)