Religionspädagogik als Autobiografie

Unter der
Projektleitung von Rainer Lachmann (geb. 1940, Professor für Ev. Theologie, Religionspädagogik
und Religionsdidaktik an der Universität Bamberg, seit 2005 emeritiert) und unter
der Mitwirkung von Horst F. Rupp (geb. 1949, Professor für Ev. Theologie mit
Schwerpunkt Religionspädagogik an der Universität Würzburg) wurde über Jahre
hinweg an der Universität Bamberg die (auto-)biografische Forschung in religionspädagogischen
Zusammenhängen vorangetrieben. Durch diese Initiative konnten eine beachtliche
Zahl von Religionspädagog/innen gewonnen werden, die die Verknüpfung ihrer
eigenen Biografie mit der Religionspädagogik und Didaktik beschrieben und
entsprechende Schwerpunkte der eigenen Forschungsarbeit herausstellten. (Auto-)Biografieforschung eröffnet durch
die subjektive Sicht der Beteiligten erweiterte Verständniswege der religionspädagogischen
Konzepte sowohl evangelischer wie katholischer Autor/innen. Das Projekt wird
unter leicht veränderten Bedingungen weiter fortgesetzt. Seit 1989 sind inzwischen
4 Bände erschienen.
 

  •  Rainer Lachmann / Horst F. Rupp
    (Hg.), Lebensweg und religiöse Erziehung. Religionspädagogik als
    Autobiographie. Band 1 und 2
    . Weinheim: Beltz 1989
  •  Als Band 3: Dietrich Steinwede „So viel
    Gott strömt über. Streiflichter eines Lebens“.

    Mit einer Einstimmung
    bearbeitet und herausgegeben von Rainer Lachmann. Studien zur Theologie Bd. 20.
    Würzburg: Mittelstädt 2000
Der hier
vorzustellende 4. Band erweitert die
religionspädagogischen Intentionen nun stärker unter dem Bildungsbegriff, aber
auch im Blick auf mögliche Zielgruppen.
 
Die
Herausgeber, beide von der Universität Würzburg, schreiben darum in ihrer
Hinführung zu den einzelnen Autoren: „Erklärtes Ziel … ist es nun aufzuzeigen
inwiefern (auto-)biografisches Lernen generell und das Lernen an
(Auto-)Biographien in der Fluchtlinie einer als bildend zu charakterisierenden
religionspädagogischen Konzeption liegen“ (S. 12). Neben einer knappen
Auseinandersetzung mit bereits vorhandenen Bildungsansätzen sollen die narrativ
geprägten Darstellungen Leser/innen und Rezipient/innen ermutigen, im
„religionspädagogischen Lernen an und durch (auto-)biographische
Erinnerungsdokumente“ „mehrperspektivische Zugänge zum religionspädagogischen
Leben im Feld zwischen Beruf und Leben und … unterschiedliche Wirklichkeiten
wahrzunehmen …“ (S. 33). Dies ermöglicht auch eine eigene Positionierung.
Es folgen nun 19 autobiografische Texte bekannter überwiegend schon
emeritierter Religionspädagogen (es ist nur eine Frau dabei!), die jeweils auch
als Herausforderung für das eigene Bildungsverständnis zu lesen sind und die
grundlegende Frage nach der Religionspädagogik als Kommunikationswissenschaft
in unterschiedlicher Weise ansprechen.
Die alphabetisch nach den Personen geordneten Artikel sind mit einer
Kurzbiografie einschließlich der beruflichen Stationen, Ehrungen, Publikationen
usw. ergänzt. Eine Zuordnung der einzelnen Beiträge nach inhaltlichen Kriterien
wäre vermutlich (wie schon in den andern Bänden) zu schwierig gewesen.
  • Der aus
    einem hessischen evangelischen Pfarrhaus stammende Gottfried Adam (bis 2006
    an der Universität Wien) spricht darüber, wie die Lebensbedeutsamkeit des
    Evangeliums von der Menschenfreundlichkeit Gottes zu dolmetschen sei, und zwar
    an der Universität, in der Gemeindepädagogik, an Förderschulen, in der
    Kinderbibelforschung und im diakonisch-sozialen Lernen. 
  •  Karl Foitzik (bis 2003 an
    der Augustana-Hochschule Neuendettelsau) geht auf die Kommunikationsstrukturen
    des Evangeliums „mitten in der Lebenswelt“ ein. Die Gemeindepädagogik liegt ihm
    dabei durchgängig am Herzen. 
  • Hans Grewel (ebenfalls Pfarrersohn,
    am Niederrhein und im Bergischen Land aufgewachsen, bis 2006 an der Universität
    Dortmund) berichtet von seinen Zugängen zur Religionspädagogik im Horizont religionspädagogischer
    Auf- und Umbrüche und seinem Interesse die Grundfragen des Glaubens und der
    Theologie wachzuhalten.
  • Engelbert Groß (niederrheinisch-katholisch
    geprägt und bis 2004 an der Universität Eichstätt-Ingolstadt) sieht seine
    Aufgabe (als Lehrer an Schule und Hochschule), Mit-Vorbereitender einer
    „Eine-Welt-Religionspädagogik“ zu sein.
  •  Helmut Hanisch (schlesisches
    „Flüchtlingskind“, bis 2008 an der Universität Leipzig) bringt seine deutschen
    Ost-West-Erfahrungen, besonders in die Mitgestaltung des Religionsunterrichts
    in Sachsen nach der Wende 1989 ein. 
  •  Horst Heinemann (Kind der
    „vaterlosen Generation“, bis 2006 an der Universität Kassel) bedenkt im Kontext
    seines beruflichen Lebenslaufes die Bedeutung von Kinderbibeln. 
  • Georg
    Hilger
    (bis 2005 an der Universität Regensburg), rheinisch-katholisch
    sozialisiert, nutzte die vielen Wege in die Religionspädagogik, ihre
    Praxisfähigkeit und schulische Reichweite, aber auch im Blick zum Aufbau einer
    Schulpastoral. 
  • Der aus
    einem evangelischen Pfarrhaus in Thüringen kommende Raimund Hoenen (bis 2004
    an der Universität Halle-Wittenberg) zeichnet in gewisser Weise den Weg der
    „Christenlehre“ in der DDR bis hin zum Postulat öffentlicher Schulen mit
    religiöser Bildung nach. 
  • Religionspädagogik in der Spannung zwischen
    säkularer Postmoderne und Relevanz der Religionspädagogik und des Religionsunterrichts
    ist letztlich das Thema von Friedrich Johannsen (ev.-lutherischer
    Pastor, bis 2011 an der Universität Hannover).
  • Gewissermaßen Urgestein
    christlich geprägter Religionspädagogik spiegelt sich in Hans-Bernhard Kaufmann
    (zwischen Breslau, Kiel, Loccum und Münster) ein spannendes Leben, beginnend
    mit Erfahrungen im Nationalsozialismus und einem persönlichen Weg in die
    Hoffnungskraft christlichen Glaubens im Kontext theologisch-didaktischer
    Fragestellungen.
  • Besonders die religionspädagogische Entwicklung in Münster nimmt
    Roland
    Kollmann
    (vom katholischen Volksschullehrer in Essen, über die
    Universität Münster, dann bis 2000 an der Universität Dortmund) autobiografisch
    auf.
  • Der vaterlos bei Marburg aufwachsende Rainer Lachmann und
    theologisch und pädagogisch von „Marburg“ geprägt, kommen doch vielfältige
    Ortserfahrungen für den eigenen Glauben (didaktische und theologische!) zum
    Zuge. 
  • Und wieder ein Pfarrersohn: Johannes Lähnemann aus Niedersachsen:
    Sein persönlicher Glaube, verbunden mit einem religionsdidaktisch-dialogischen
    Konzept, gewinnt an den Orten seines Wirkens (in Westfalen und dann an den
    Universitäten Lüneburg und bis 2007 an der Universität Nürnberg) interreligiöse
    Weite. 
  • Und noch ein Pfarrersohn, diesmal aus Hessen, Jürgen Lott (bis 2011 an
    der Universität Bremen)- er gehört zu den Förderern eines
    konfessionsunabhängigen, an Kultur orientierten Religionsunterrichts im Sinne
    einer „lebensweltorientierten Religionspädagogik“ (S. 299).
  • In Reinhold
    Mokrosch
    (bis 2005 an der Universität Osnabrück) schwingt nicht nur
    eine aktualisierende Lutherrezeption mit, sondern ein theologischer Weg, der
    erst langsam, aber dann umso intensiver in eine sich interreligiös weitende
    Religionspädagogik im Sinne einer Friedenspädagogik und Werteentwicklung führt. 
  • Reiner
    Preul
    (Universitäten Tübingen und Marburg, bis 2005 an der Universität
    Kiel) gehört zu denjenigen Lehrern der Praktischen Theologie, die sich für eine
    „bildungstheoretisch fundierte Religionspädagogik“ stark machen.
  • Die den
    Religionsunterricht in Niedersachsen theoretisch wie praktisch mitprägende Lehrerin
    Anna-Katharina
    Szagun
    (1992–2005 Universität Rostock), auch aus einem Pfarrhaus
    stammend, erzählt ihre „vielfältig gebrochene“ Biografie (S. 342), darin die
    entscheidende Begegnung mit Dorothee Sölle (S. 342) und Aufbrüche hin zu
    pädagogischen Konzepten, die mit dem übenden Vollzug unmittelbar
    zusammengespannt werden. 
  • Auch Wolfram Weiße (Leiter der Akademie
    der Weltreligionen, Hamburg) kann auf Lehrererfahrungen zurückgreifen. Sie
    bestimmen den schon lange in der Hansestadt Lebenden wesentlich unter den
    Gesichtspunkten den Multikulturalität und der interreligiösen Erziehung. So
    öffnet sich für ihn der Horizont zu einem internationalen und dialogoffenen
    Christentum, im Sinne einer friedensengagierten Ökumene der Religionen. 
  • Zum
    Schluss beschreibt Rainer Winkel, der Gründungsrektor der Freien Schule Essen und
    der faktisch gescheiterten Reformschule, der Evangelischen Gesamtschule
    Gelsenkirchen-Bismarck, seine durch diese Ereignisse geprägte pädagogisch-religiöse
    Entwicklung. In seiner Lebensbeschreibung schwingt trotz mancher Rückschläge
    ein kindliches, aber keineswegs einfallsloses Gottesvertrauen mit. Es ist ein
    Vertrauen, das durch die Aufklärung ging und die Hoffnung zum Lebensprinzip
    macht.
Bilanz: Mit diesem 4. Band liegt nicht nur ein spannendes
Mosaik engagierter katholischer und evangelischer Religionspädagogen vor.
Vielmehr zeigt gerade die Vielfalt der auch unterschiedlich geschriebenen
Lebenseindrücke die innovative und reformerische Kraft für eine dialogoffene
Religionspädagogik und -didaktik, die aus der reflexiven Bearbeitung des
eigenen Lebensweges erwachsen kann. Das ist sicher nicht nur für die Autoren
aufschlussreich, die diese biografischen Skizzen geschrieben haben, sondern
auch für jene, die aus dieser Lektüre Anregungen und Orientierungshilfen für
eigenes Unterrichten in Kirchengemeinde, Schule und Hochschule gewinnen wollen.
Religionspädagogische Konzepte leben offensichtlich nicht nur von der
systematisch-didaktischen Kraft ihrer Autoren, sondern auch von der Reflexion
des eigenen Lebensweges.

                                                                                                                                                                                          
Auf der INTR°A-Rezensionsseite „Ein-Sichten“
wurde bereits besprochen:  

Horst F. Rupp / Klaas Huizing (Hg.): Religion im Plural.   
Forum
zur Pädagogik und Didaktik der Religion Bd. 3. Würzburg: Königshausen &
Neumann 2011
   

Reinhard Kirste
Rz-Rupp-Relpäd, 27.05.2012 

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