Buch des Monats November 2016: Zwischen Orient und Okzident – die Johanniter


Karin Schneider-Ferber:
Ritter im Exil. Die Geschichte der Johanniter.
Darmstadt:
WBG (Theiss) 2016, 264 S., Abb., Register
(Print und E-Book)
— ISBN 978-3-8062-3343-8 —

  
  Die Krankenwagen der Johanniter Unfallhilfe (JUH) und
des
 
Malteser- Hilfsdienstes erinnern nicht ohne Weiteres an eine
  aufregende 
Geschichte im Zusammenhang der Kreuzzüge
  und der großen 
Veränderungen der 
  Mittelmeerwelt seit dem 12. Jahrhundert.
  Die vom Mittelalter faszinierte Journalistin

  und 
Sachbuchautorin Karin Schneider-Ferber nimmt uns
  
auf eine lange Zeitreise mit. 
  Es
ist die Geschichte der Johanniter. 
Sie suchten und
  fanden ihre Identität in der
schwierigen 
Balance zwischen
  einem kämpfenden Ritterorden 
und einer sich der
  Krankenpflege 
verschreibenden Hospitalbruderschaft.
  Der Orden versuchte je
länger, 
je verzweifelter,
  wenigstens Teile   des Heiligen Landes 
unter
christlicher
  Herrschaft   zu erhalten.
  Aber mit der Eroberung des letzten

  christlichen Stützpunktes in Palästina, 
der
  Stadt Akkon im Jahre 1291 durch den Mamlukenherrscher Chalil, 
 ist der
  Kreuzfahrer-Traum endgültig ausgeträumt.
 Es beginnt der Weg ins Exil –
  zuerst nach Zypern, dann nach Rhodos
 und schließlich nach Malta  Erst Napoleon beendete 1798
  auch noch dieses Relikt vergangener Zeiten. 

  Aber bis heute bleibt etwas vom Mythos dieses Ordens lebendig –  
  gerade weil sein karitatives Engagement auch viel Anerkennung brachte. 


  Die Autorin
führt diese Zeitreise anschaulich und spannend in 12 „Etappen“ bis in die
Gegenwart durch:

1.     Von den militärischen Absicherungen
im Heiligen Land (Kreuzritterburgen !) bis hin zur Niederlage in Akkon und der  Zwischenstation in Zypern.
2.     Der Aufbau einer Ordensflotte und
die Kontrolle über das Mittelmeer.
3.     Neue Heimat Rhodos und
wirtschaftlicher Aufschwung.
4.     Handel und Hospital auf Rhodos:
Relative multikulturelle Toleranz des Ordens.
5.     Der Orden zwischen den ägyptischen Mamluken
und den Osmanen sowie  der Verlust von
Rhodos im 16. Jahrhundert.
6.     Der Rückzug ins westliche Mittelmeer
nach Malta.
7.     Malta als christliches Bollwerk
gegen die „Türken“.
8.     Standhaftigkeit angesichts von
Belagerungen und letztlich die „christliche Rettung“ Maltas (1565)
9.     In Erinnerung an den schließlich
siegreichen Ordens-Großmeister  Jean de la Vallette (1494 – 1568) erhielt die von ihm gegründete  neue Hauptstadt Maltas den Namen
 La Valletta.
10.  Probleme mit Malta: Wirtschaftliche
und soziale Schwierigkeiten und Spannungen: Das Hospital als karitative und
administrative Einrichtung gegen die Machtansprüche der Inquisition. Diese
richtete sich nicht nur gegen Ungläubige und Andersgläubige, sondern auch gegen
religiös-politisch-wirtschaftliche Konkurrenten.
11.  Das Grundproblem: Wer hat die
Vorherrschaft im Mittelmeer? Christen (besonders Venedig) und Muslime (Türken)
im Gegeneinander – und trotz aller Kämpfe: Die Auflösung der Feindbilder.
12.  Das Ende des Johanniterordens auf
Malta durch Napoleon (1798) und ein Blick bis zur Gegenwart.

Hier können
nur einige Hinweise auf die Differenziertheit der Ereignisse gegeben werden. Im
Blick jedoch auf die Kontakte zwischen Muslimen und Christen generell,
islamischen und christlichen Herrschern im Besonderen hat diese Vielfältigkeit auch
erstaunlich positive Folgen gehabt: Neben allen kriegerischen Konflikten setzte
sich immer wieder eine realistische Balance durch. Die universalen Ansprüche
des Heiligen Römischen Reiches (deutscher Nation) und diejenigen des Osmanischen
Reiches als dem faktischen Nachfolger Ostroms/des Byzantinischen Reiches boten
schließlich reichlich Konfliktstoff. Hinzu kam, dass mit der Reformation im
16,. Jahrhundert der Kreuzzugsgedanke ziemlich an sein Ende gekommen war (bzw.
von den katholischen Herrschern Spaniens und Portugals in den Westen Richtung
Amerika verlagert wurde). Frankreich und später Preußen paktierten auch ganz
bewusst mit dem Osmanischen Reich gegen kaiserliche Herrschaftsansprüche.

So lässt
sich die Aussage der Autorin gut verstehen:
„Obwohl in
der offiziellen Propaganda zum >Bollwerk der Christenheit< in einem Meer
der Ungläubigkeit emporgehoben, bot sich der Ordensstaat durch seine
geografische Lage wie auch durch seine semitische Landessprache [sc. auf Malta]
für eine Vermittlerrolle geradezu an … Die Besucher zeigten sich häufig
erstaunt über die stark orientalische Prägung der als streng katholisch
geltenden Insel … sogar eine Moschee gab es …“ (S. 224)
Bilanz
Vor uns
liegt die umfangreiche und dennoch übersichtlich erzählte Geschichte eines
Ritter- und Hospitalordens, der zu einem Staat aufstieg und schließlich
zerbrach. Die Lesenden gewinnen hier insgesamt ein facettenreiches Bild des
Johanniterordens in seiner Ambivalenz zwischen Rittertum und spiritueller,
karitativer Organisation.
Es sei
jedoch hervorgehoben, dass dieser lange Zeit auch staatspolitisch und
militärisch agierende Orden sich im 19. Jahrhundert wieder auf seine Kernaufgaben
besann: Sanitätsdienst und Krankenpflege im Militär und bei Zivilisten. Dieser
ursprünglichen Tradition folgen der katholische und der evangelische Zweig des
Ordens noch deutlicher in der Gegenwart als Malteser und Johanniter, und zwar
unter bewusster Distanzierung von jeglichen militärischen Funktionen. Es lohnt
sich nicht nur aus historischem Interesse sondern auch im Sinne christlicher
Weltverantwortung, die Probleme und Chancen religiös geprägten karitativen
Handelns zu bedenken.
Es sei noch
angemerkt, dass eine Zeittafel mit den wichtigsten Stationen der Johanniter
zwischen der Levante und Malta hilfreich gewesen wäre, um sich die 600jährige teilweise
machtvolle Präsenz der Johanniter im Mittelemeerraum in einer Art Überblick zu
verdeutlichen.
Weitere
Titel von Karin Schneider-Ferber


Reinhard Kirste
Rz-Schneider-Ferber-Johanniter,
31.10.2016  

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