Aus dem Hinduismus: Jagannath und seine Geschwister, Prinzessin Sita, Krishnas blaue Haut und die Heilige Kuh

1. Hinduistische „Dreifaltigkeit“: Jagannath – Baladeva – Subhadra

Jagannath bedeutet „Herr des Universums“ („Jagat“ = Universum, „Nath“ = Herr).  Er wird als eine von vielen Formen Vishnus angesehen. Seine Darstellung ist einzigartig, oft als schwarze oder dunkle Figur mit großen runden Augen dargestellt.
Baladeva (auch Balarama oder Balabhadra): Er ist der ältere Bruder von Jagannath (Krishna).Er wird oft als weiß oder hellhäutig dargestellt und gilt als Spender spiritueller Kraft und Freude.
Subhadra ist die jüngere Schwester von Jagannath und Baladeva, die gelb dargestellt wird und als andere Form von Shakti Reinheit und Glück bringt. In der Tempel-Triade sitzt sie typischerweise zwischen ihren beiden Brüdern und ohne Arme.
Der „Stab“ stellt das Sudarshana Chakra, die Waffe Vishnus dar.

>>> Jagannathas Ratha Yatra, das große Wagen-Festival >>>
>>> Mehr zu den hinduistischen Göttern – Hindu Deities (wikipedia.en)
>>> Mehr zum Hinduismus, den heiligen Schriften und Erzähltraditionen: hier
>>> Annäherungen an den Hinduismus >>>
>>> Materialzusammenstellung – Hinduismus >>>

Einmal im Jahr werden sie auf 3 Wagen in Übergröße durch die Straßen von Puri gefahren, wobei Tausende sie begleitend bejubeln. Das berühmte Wagenfest von Puri, Ratha Yatra wird auch seit Jahren in Berlin gefeiert —vgl. Jagannath-Tempel in Puri >>> https://de.wikipedia.org/wiki/Jagannath-Tempel

Hinter diesen als Bildgestalten ungewöhnlichen Darstellung im Hinduismus stecken selbstverständlich mehrere Geschichten.
Im Internet findet man natürlich viele Beschreibungen, vgl.: The Story of Lord Jagannatha >>>

Hier die bekannteste Geschichte:„Es war einmal, im Satyuga, da hatte König Indradyumna oder Indradaman, ein glühender Verehrer Vishnus, einen Traum: Krishna wies ihn an, einen Tempel zu errichten und aus einem im Meer treibenden Ast ein Abbild der drei Geschwister Jagannath, Balbhadra und Subhadra zu formen. Als er den Ast fand, erschien ihm Vishwakarma als alter Mann und versprach, die Holzfiguren Krishnas und seiner Geschwister anzufertigen, unter der Bedingung, dass ihn 21 Tage lang niemand beim Schnitzen stören dürfe. 
Mehrere Tage vergingen, ohne dass man etwas von den Bildhauerarbeiten hörte, und der König konnte nicht länger warten. Er öffnete die Tore des Tempels und entdeckte, dass der Bildhauer den Tempel verlassen und die Götterbilder unvollendet zurückgelassen hatte. Daher fehlten den Götterbildern von Jagannath, Balabhadra und Subhadara die Gliedmaßen. Bestürzt über diesen Anblick, wandte sich der König an Brahma, der ihm riet, die Götterbilder so zu weihen, wie sie waren, und versicherte ihm, dass der Herr mit ihrem Anblick zufrieden sei. Seitdem stehen die unvollendeten Götterbilder von Jagannath, Balabhadra und Subhadra im Jagannath-Tempel von Puri.

Übermittelt von Dr. Alice Schumann, Köln

Kampfszene aus dem Mahabharata (Fächer mit indonesischen Schattenspielfiguren)

2. Errettung der Prinzessin Sita 
aus dem Epos Ramayana

 

Das Ramayana kann man als „Fortsetzung“ des Mahabharata ansehen: Narrativ über Verantwortung und Pflichten. Diese Erzählungen dienen als Orientierung für die Kindererziehung.
 
Einst herrschte ein Dämonenkönig namens Ravana auf Sri Lanka. Er war sehr mächtig und drohte die Menschheit zu vernichten. Aus Angst vor ihm suchten die Menschen Hilfe bei Gott. Der Rat der
Götter im Himmel beschloss, Vishnu – den Bewahrer der Welt – in Menschengestalt
auf die Erde zu schicken, denn es war schon seit jeher die Aufgabe der Götter,
Recht und Ordnung auf der Erde zu bewahren, die Guten zu unterstützen und das
Böse zu vernichten.
So wurde dem Gott Vishnu, der drei königliche Frauen hatte, Rama als ältester Sohn geboren (er gilt als die 7. Inkarnation Vishnus) 
 
Einen Tag vor Ramas Krönung verlangte seine Stiefmutter von ihrem Gemahl, dem König, ihr die zwei Wünsche zu erfüllen, die er ihr vor langer Zeit versprochen hatte. Sie wünschte sich, dass
ihr leiblicher Sohn Bharata statt Rama die Krone bekäme; und damit Rama kein
Dorn für ihn wäre, sollte er vierzehn Jahre in die Wälder verbannt werden.
 
Der König war entsetzt und bat seine Frau, sich etwas anderes zu wünschen, aber sie beharrte darauf. Als Rama davon hörte, gab er die Krone freiwillig ab.
 
Hier kam die Pflicht des Gehorsams und die Pflicht , das einmal gegebene Wort zu halten, zusammen. Zwar hatte nicht er das Versprechen gegeben, aber das Versprechen des Vaters war auch sein
Versprechen. Und vor allem, die Mutter hatte es verlangt, und er musste gehorchen.
 
Ramas Frau Sita, die ihm die Treue geschworen hatte, ging mit ihm – das war die Pflicht des Lebens­partners, in guten und schlechten Zeiten zusammenzuhalten. Und auch sein jüngerer Bruder
Laxman wollte nicht ohne ihn im Königreich bleiben. Ihn rief die Pflicht, dem
Älteren zu dienen. 
So verließen Rama, Sita und Laxman ihr
Königreich, um in den Wäldern zu leben.
Rama im Wald bei den Tieren

Kurze Zeit darauf starb der alte König in Trauer um seine Kinder. Als Bharata, der die ganze Zeit über bei seinem Onkel war, erfuhr, was während seiner Abwesenheit geschehen war, war er völlig verzweifelt. Er missbilligte das Verhalten seiner Mutter und lehnte die Krone ab. Er eilte hinter seinem geliebten Bruder Rama her, fand ihn in den Wäldern und bat ihn, zurückzukommen und das Land zu regieren.
Rama überzeugte seinen Bruder, dass er
das Versprechen seines Vaters erfüllen müsse, dass Bharata zu seinem Königreich zurückkehren solle und dass ein Königreich ohne einen König von Feinden besiegt werden könne. Er versprach ihm aber, am Ende der Verbannung zurückzukommen und das Königreich zu übernehmen, um ihn von der Last der Regierung zu befreien.
Bharata versprach Rama, dass er ebenso wie sein Bruder ein Asketenleben führen würde. Er ging zurück und trug dabei die Schuhe seines Bruders. Er legte diese auf den Thron und regierte im Namen seines Bruders. Er verzichtete auf ein Leben im Palast, zog in eine Hütte und lebte von Beeren und Waldfrüchten wie seine Brüder und seine Schwägerin. 

Dreizehn Jahre vergingen. Während dieser Zeit durchwanderten Rama, seine Frau und sein Bruder die Wälder und töteten viele Dämonen, die die Menschen und Asketen dort belästigten.
Eines Tages erfuhr der Dämonenkönig Ravana von der Schönheit Sitas – Ramas Frau. Er begehrte sie und heckte einen Plan aus, sie zu entführen. Sein Onkel versuchte, ihn davon abzubringen. Aber
Ravana drohte ihm mit dem Tode, wenn er ihn nicht unterstützen würde. Es blieb dem Onkel also nichts anderes übrig als der Tod – denn eins wusste er: entweder würde er durch den Dämonenkönig getötet, wenn er ihm nicht hülfe, oder Rama tötete ihn als Bestrafung wegen der Hilfeleistung bei der Entführung. Er zog es vor, durch Gottes Hand zu sterben und half seinem Neffen. 
Sita wurde durch die Luft von Ravana entführt, als ihr Gemahl und sein Bruder auf der Jagd waren. Unterwegs hörte der König der Vögel ihre Hilfeschreie und flog ihr zu Hilfe, wurde aber durch
Ravana tödlich verletzt. Als er zu Boden fiel, fanden ihn Rama und Laxman. In
seinen letzen Atem­zügen erzählte der Vogelkönig von der Entführung und von der
Himmelsrichtung, in der Ravana entkommen war. Nun zogen beide Brüder los, um
Sita zu suchen.
 
In der Zwischenzeit – in Sri Lanka angekommen – zwang Ravana Sita, ihn zu heiraten. Sie weigerte sich und drohte ihm mit einem Fluch, falls er sie anrühren würde. Da man keine Frau ohne ihre
Einwilli­gung anfassen sollte, konnte er sie zwar nicht heiraten, hielt sie aber gefangen in der Hoffnung, dass sie ihre Meinung änderte. 
Rama und Laxman suchten verzweifelt nach Sita. Unterwegs schlossen sie Freundschaft mit der Tierwelt und zwar genauer gesagt: mit den Menschenaffen und den Bären. Trotz seiner eigenen
Probleme half Rama dem Affenkönig eine familiäre Krise zu lösen – das war die Pflicht eines Freundes. Der Affenkönig wiederum versprach Rama, ihm bei der Suche nach seiner Frau zu helfen. 
Er schickte seine Affensoldaten in alle Himmelsrichtungen, um den Weg zu erkunden. Nach monate­langer Suche kam endlich Hanuman, der als der Affengott bekannt ist, mit dem Hinweis, dass Sita in Sri
Lanka gefangen gehalten wird, weit hinter der Landesgrenze. 
Rama ging mit seinem Bruder, seinem Freund, dem Affenkönig, und seiner Affenarmee zur Südküste Indiens. Sie fanden keinen Weg über das weite Meer.
Es vergingen Wochen. Rama erinnerte sich an sein Versprechen, das er seinem Bruder gegeben hatte: Nach vierzehn Jahren wollte er zurückkehren und keinen Tag länger bleiben. Bald wären die vierzehn
Jahre um, und er hatte noch keinen Weg zu seiner Frau gefunden. Er fing an zu beten, und der Wassergott erhörte seine Gebete. Die Affenarmee durfte eine steinerne Brücke über das Wasser bauen, um nach Sri Lanka zu gelangen. Alle gingen darüber.
 
Die Pfeiler dieser Brücke kann man heute noch sehen, die Felsinseln, die die Südküste Indiens mit der Nordküste Sri Lankas verbinden.
 
In Sri Lanka angekommen, forderte Rama Ravana zum Krieg auf. Die Dämonen waren zahlreich und mächtig, und der Krieg dauerte mehrere Tage. Ravana war unbesiegbar, denn jedes Mal, wenn man seinen Kopf abschnitt, wuchs ein neuer an seiner Stelle. Rama und seine Armee waren verzweifelt. Der Krieg dauerte an, und es war kein Ende abzusehen. Die meisten der Dämonenfamilie waren gefallen, aber Ravana war immer noch bei Kräften.
Endlich kam die Erlösung für Rama. Ein Überläufer der Dämonenfamilie, der an
Gott glaubte und nicht an den Teufel, verriet Rama das Geheimnis Ravanas. 
Am Tage darauf zielte Rama mit seinem Pfeil und Bogen auf Ravanas Bauchnabel – sein Kundalini. Ravana fiel zu Boden. So siegte endlich das Gute über das Böse.
 
Rama nahm Sita und Laxman und flog mit seinen Freunden nach Hause zu seinem Bruder Bharata. Es war der letzte Tag der vierzehnjährigen Verbannung. Er musste sein Versprechen einhalten.
Es war die dunkelste Nacht des Jahres. Als er heranflog, sah er von weitem schon viele Lichter in seinem Königreich. Das Volk hatte überall Lichter brennen lassen, damit er seinen Weg fand. Als
Rama ankam, fiel ihm sein Bruder zu Füssen und gab ihm das Königreich zurück. Alle feierten die Rückkehr Ramas.
 
So wird auch jedes Jahr das Fest der Lichter bei den Hindus gefeiert. Es heißt Diwali oder DeepawaliDeep bedeutet Licht oder Lampe. Es wird jedes Jahr in der dunkelsten Nacht des Jahres gefeiert und fällt zwischen Ende Ende Oktober und Anfang November. Dies ist ein Fest wie Weihnachten. Es ist zwar nicht die Geburt Gottes, aber der Sieg des Guten über das Böse. Es soll den Hindus auch ein Gefühl des Pflichtbewusstseins und der Opferbereitschaft vermitteln.
Aus: Ramayana. Die Geschichte vom Prinzen Rama, der schönen Sita und dem Großen Affen Hanuman.
DG 45. Köln: Diederichs 1983 – nacherzählt von Renu Varandani.

 3. Krishnas blaue Haut 

 
Krishnas Hautfarbe ist blau, und er trägt immer gelbe Gewänder. Die blaue Farbe wird immer in Zusammenhang mit der Ewigkeit oder Unendlichkeit (z.B. Himmel oder Ozean) gebracht. Und die gelbe Farbe ist die Erde. Wenn Sand mit einer farblosen Flamme in Berührung kommt, wird die Flamme gelb. Die blaue Gestalt Krishnas, der in Gelb gekleidet ist, symbolisiert die ewige Wirklichkeit. die in ein sterbliches Dasein eingezwängt ist. Die Inkarnation Krishnas stellt das Herabsteigen Gottes auf die Erde dar. Der Gedanke, dass diese grenzenlose, formlose Wirklichkeit zu einem Menschenleben beschränkt wird, deutet auch seine Geburt in einem Gefängnis an. Das göttliche Kind konnte aber in einem Gefängnis nicht eingesperrt werden, denn sobald es auf die Welt kam, öffneten sich wie durch ein Wunder die Gefängnistore. Nicht einmal die Wächter konnten Krishnas Vater, der mit ihm durch die Tore spazierte, aufhalten.
 
Diese Episode soll vermitteln, dass das Göttliche und Ewige nicht durch menschliche Gestalt eingeschränkt oder behindert werden kann. Das Göttliche ist immer frei, die Seele oder Atman ( = Atem) grenzenlos. Nur der Körper, Gedankengut und Intellekt sind begrenzt, eingeschränkt und sterblich. Die Materie hat einen Anfang und ein Ende. Die Seele oder Atman nicht, sie ist ewig, unendlich. Krishna stellt stellt diesen Atman dar.
 
Nach: Parthsarathy, A.: The symbolism of Hindu Gods and Rituals. Bombay: Vedanta Life Institute 1983, 3. Aufl.
 
 
Rezension des Buches: hier

  4. Wie die Kuh der menschlichen Mutter gleichgestellt wurde

Seit jeher weiß jeder, dass die Kuh, ebenso wie eine Frau, eine Tragzeit von neun Monaten bzw. 280 Tagen hat. Genau wie die Mutter ernährt auch die Kuh ihre Nachkommen mit Milch.
Die Mutter kann
nur ihr eigenes Kind ernähren, die Kuh dafür aber ein ganzes Dorf. Ihre Milch ist genauso leicht und verdaulich für den empfindlichen Menschenmagen, wie die von einer Mutter.

Eines Tages war die Entbindungszeit für eine werdende Mutter gekommen. Sie hatte unerträgliche Schmerzen und die Geburt war sehr schwer. Es war eine Kuh in der Nähe, und sie half der werdenden
Mutter, indem sie ihren Huf in das hintere Kleinbecken der Frau presste.
Daher sagt man, kommt auch das Dreieck mit den drei Punkten über den Pobacken des
Menschen. Heute weiß der Geburtshelfer, wo er die Anästhesie zu spritzen hat,
nämlich an der gleichen Stelle, wohin einst die Kuh ihren Huf gesetzt hatte.
 
So half die Kuh der Frau zu ihrem Kind.
Die Kuh bat die Frau, auch ihr zu helfen, wenn es bei ihr so weit wäre. Und als
die Zeit zum Kalben gekommen war, eilte die Mutter ihr zu Hilfe.
 
Mündlich überliefert und erzählt von Renu Varandani
im Rahmen des West-östlichen Divans Iserlohn
 

Anregungen für die Weiterarbeit

 
Die Geschichten stammen aus verschiedenen Erzähltraditionen, haben mehrere Ebenen. Sie reichen vom heiteren Nacherzählen bis zu einer Symbolik wesentlicher Daseinsfragen und transzendentem Wirklichkeitsverständnis. Diese Geschichten sind teilweise von erheblicher epischer
Breite, ermöglichen aber auf diese Weise, dass die Zuhörerinnen durch das
Erzählen gewissermaßen in die „Daseinstiefe“ hineingenommen werden.
So hat auch jedes Fest in Indien eine entsprechende Festlegende.


       — Welche Intentionen liegen jeweils hinter diesen Erzählungen?
       —  Warum geht es in diesen Geschichten teilweise so konfliktreich zu?
       —  Teilweise dauert es bis zur Lösung in einer Geschichte sehr lange,                                       manchmal stellt sich die Lösung unvermittelt ein. Welches sind die Hintergründe?


Prinzessin Sita, Krishnas blaue Haut und die Heilige Kuh erschienen zuerst in
Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau (Hg.):
Gespiegelte Wahrheit. Iserlohner Con-Texte Nr. 18 (ICT 18). Iserlohn 2003, S. 57 – 59, 
auch als PDF-Fassung wieder aufgelegt: 2009 und 2014. Download: hier