Behnam T. Said: Geschichte al-Qaidas.
Bin Laden, der 11. September
und die tausend Fronten des Terrors heute
Bin Laden, der 11. September
und die tausend Fronten des Terrors heute
München:
C.H. Beck 2018, 240 S.,
Zeittafel, Videobotschaften,
Register der Personen
und islamischen Organisationen
— ISBN 978-3-406-72585-2 —
Register der Personen
und islamischen Organisationen
— ISBN 978-3-406-72585-2 —
English summary at the end of the review
Wer sich ein
einigermaßen genaues Bild über die vielfältige Vernetzung der Terror-Organisationen
verschaffen will, die „im Namen des Islam“ agieren, dürfte es nicht leicht
haben. Zeitungsartikel, aber auch Internet-Beiträge sind meist zu sehr
tagespolitisch orientiert. Außerdem verschwinden die Anfänge des islamistischen
Terrors im Dunkel unterschiedlicher Interpretationen.
Der Islamwissenschaftler Behnam
Timo Said (geb. 1982) unternimmt es nun, strukturierendes Licht in die
Zusammenhänge von al-Qaida und den sich selbständig machenden und
konkurrierenden Ablegern zu bringen.
einigermaßen genaues Bild über die vielfältige Vernetzung der Terror-Organisationen
verschaffen will, die „im Namen des Islam“ agieren, dürfte es nicht leicht
haben. Zeitungsartikel, aber auch Internet-Beiträge sind meist zu sehr
tagespolitisch orientiert. Außerdem verschwinden die Anfänge des islamistischen
Terrors im Dunkel unterschiedlicher Interpretationen.
Der Islamwissenschaftler Behnam
Timo Said (geb. 1982) unternimmt es nun, strukturierendes Licht in die
Zusammenhänge von al-Qaida und den sich selbständig machenden und
konkurrierenden Ablegern zu bringen.
Nicht nur seine Ausbildung, sondern auch seine Praxis in der Justizbehörde
Hamburg zur Extremismusprävention und Resozialisierung bieten dem Autor eine
solide Basis an Hintergrundinformationen und aktuellen Entwicklungen.
Mit dem
Bestseller Islamischer Staat hatte er
schon 2014 die Thematik unter dem Fokus des sog. Islamischen Staats
aufgearbeitet.
Details
mit Rezensionsnotizen: https://www.perlentaucher.de/buch/behnam-t-said/islamischer-staat.html
Ehe Said die
Geschichte mehrerer islamistischer Führer aus dem arabischen Raum und Südasien
nachzeichnet, verweist er in der Einleitung auf den „Nährboden“ für diese
Entwicklungen. Es sind zwei Schüsselerkenntnisse:
Geschichte mehrerer islamistischer Führer aus dem arabischen Raum und Südasien
nachzeichnet, verweist er in der Einleitung auf den „Nährboden“ für diese
Entwicklungen. Es sind zwei Schüsselerkenntnisse:
1. „Die
militärische, technische und wirtschaftliche Überlegenheit des Westens und die
Zwänge unter der Kolonialherrschaft führten zu neuen politischen und
gesellschaftlichen Ideen wie der Rückbesinnung auf die religiösen Fundamente, der
Reformierung des Kalifats, der Wiederentdeckung des arabischen Kulturerbes. All
dies formte einen arabischen Nationalismus, der keinerlei Fremdherrschaft – ob
durch Osmanen oder Europäer – mehr dulden wollte“ (S. 11).
militärische, technische und wirtschaftliche Überlegenheit des Westens und die
Zwänge unter der Kolonialherrschaft führten zu neuen politischen und
gesellschaftlichen Ideen wie der Rückbesinnung auf die religiösen Fundamente, der
Reformierung des Kalifats, der Wiederentdeckung des arabischen Kulturerbes. All
dies formte einen arabischen Nationalismus, der keinerlei Fremdherrschaft – ob
durch Osmanen oder Europäer – mehr dulden wollte“ (S. 11).
2. „Der Wunsch nach
einem islamischen Staat, einer islamischen Gesellschaft oder der
Wiedererrichtung des Kalifats ist bis heute die einigende Klammer aller
Islamisten, ob sie sich friedlich betätigen oder Gewalt ausüben“ (S. 13). Ein sunnitisch
und anti-schiitisch orientierter Islam wird faktisch auf der Basis der
Ideologie von Sayyid und Muhammad Qutb propagiert (z.B. S. Qutb:
„Zeichen auf dem Weg“ [1989], arabisches Original: 1964). Vielleicht könnte man
sogar den ägyptischen Rechtsgelehrten und Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) als indirekten Ideengeber dazurechnen
(vgl. z.B. Islamic Awakening between Rejection and Extremism [1991], arabisches
Original 1984).
Allen Islamisten ist gemeinsam, dass sie die eigenen (Glaubens-)Interessen als
Absolutheitsanspruch politisch und teilweise gewaltsam umsetzen wollen (vgl.
dazu Osama bin Ladens religiöse Prägung, S. 32-33).
einem islamischen Staat, einer islamischen Gesellschaft oder der
Wiedererrichtung des Kalifats ist bis heute die einigende Klammer aller
Islamisten, ob sie sich friedlich betätigen oder Gewalt ausüben“ (S. 13). Ein sunnitisch
und anti-schiitisch orientierter Islam wird faktisch auf der Basis der
Ideologie von Sayyid und Muhammad Qutb propagiert (z.B. S. Qutb:
„Zeichen auf dem Weg“ [1989], arabisches Original: 1964). Vielleicht könnte man
sogar den ägyptischen Rechtsgelehrten und Fernsehprediger Yusuf al-Qaradawi (geb. 1926) als indirekten Ideengeber dazurechnen
(vgl. z.B. Islamic Awakening between Rejection and Extremism [1991], arabisches
Original 1984).
Allen Islamisten ist gemeinsam, dass sie die eigenen (Glaubens-)Interessen als
Absolutheitsanspruch politisch und teilweise gewaltsam umsetzen wollen (vgl.
dazu Osama bin Ladens religiöse Prägung, S. 32-33).
Von diesen
Basiserkenntnissen her stellt der Autor den Ägypter Aiman al-Zawahiri (geb. 1951) vor, der zum Aufbau und der
Koordination djihadistischer Terror-Zellen in Ägypten einen wesentlichen
Beitrag leistete. An der Ermordung Anwar as-Sadats 1981 war er vermutlich nicht
beteiligt, wurde aber verhaftet und gefoltert.
Nach seiner Entlassung verließ er Ägypten für immer und hielt sich in
Saudi-Arabien und Pakistan auf. Der endgültige Abzug der Sowjetunion wurde von
den Mudjaheddin als Sieg gedeutet und führte nach 1988 zur „Organisation der Basis des Djihad“ (kurz = al Qaida) sowie zur Ausweitung der Terroraktivitäten und der
zuerst von Pakistan aus agierenden Taliban. Durch die vertiefte finanzielle und
logistische Zusammenarbeit mit dem aus einer reichen Unternehmerfamilie
stammenden Osama bin Laden (1957/59–11.05.2011)
entwickelte sich diese Form des Djihad in Afghanistan zur Brutstätte eines sich
international ausbreitenden islamistischen Terrorismus. Er richtet sich mit
brutaler Gewalt gegen alles, was als „westlich“ angesehen wird. Erst langsam
stieg Osama bin Laden dabei zur Schlüsselfigur auf. Höhepunkte wurden in diesem
„War of Terror“ Anschläge
spektakulärer Art, deren furchtbarster sich am 11. September 2001 in New York
ereignete.
Basiserkenntnissen her stellt der Autor den Ägypter Aiman al-Zawahiri (geb. 1951) vor, der zum Aufbau und der
Koordination djihadistischer Terror-Zellen in Ägypten einen wesentlichen
Beitrag leistete. An der Ermordung Anwar as-Sadats 1981 war er vermutlich nicht
beteiligt, wurde aber verhaftet und gefoltert.
Nach seiner Entlassung verließ er Ägypten für immer und hielt sich in
Saudi-Arabien und Pakistan auf. Der endgültige Abzug der Sowjetunion wurde von
den Mudjaheddin als Sieg gedeutet und führte nach 1988 zur „Organisation der Basis des Djihad“ (kurz = al Qaida) sowie zur Ausweitung der Terroraktivitäten und der
zuerst von Pakistan aus agierenden Taliban. Durch die vertiefte finanzielle und
logistische Zusammenarbeit mit dem aus einer reichen Unternehmerfamilie
stammenden Osama bin Laden (1957/59–11.05.2011)
entwickelte sich diese Form des Djihad in Afghanistan zur Brutstätte eines sich
international ausbreitenden islamistischen Terrorismus. Er richtet sich mit
brutaler Gewalt gegen alles, was als „westlich“ angesehen wird. Erst langsam
stieg Osama bin Laden dabei zur Schlüsselfigur auf. Höhepunkte wurden in diesem
„War of Terror“ Anschläge
spektakulärer Art, deren furchtbarster sich am 11. September 2001 in New York
ereignete.
In dieser Entwicklungsgeschichte islamistischen
Terrors beschreibt Said, dass nicht eine hierarchische Struktur, das internationale
Terrornetz zusammenhielt, sondern Osama
bin Laden als faktisch koordinierende Identifikationsfigur wirkte. Dies
galt eine längere Zeit auch für die regionalen Ableger, die im Mittleren Osten entstanden,
um dort insbesondere die USA bzw. den Westen zu bekämpfen. In diesem
gewaltsamen antiwestlichen Islamismus ragten einige weitere
Führerpersönlichkeiten wie z.B. der jordanische Djihadist al-Zarqawi (1966–2006) gefährlich
hervor.
Terrors beschreibt Said, dass nicht eine hierarchische Struktur, das internationale
Terrornetz zusammenhielt, sondern Osama
bin Laden als faktisch koordinierende Identifikationsfigur wirkte. Dies
galt eine längere Zeit auch für die regionalen Ableger, die im Mittleren Osten entstanden,
um dort insbesondere die USA bzw. den Westen zu bekämpfen. In diesem
gewaltsamen antiwestlichen Islamismus ragten einige weitere
Führerpersönlichkeiten wie z.B. der jordanische Djihadist al-Zarqawi (1966–2006) gefährlich
hervor.
Angesichts des
durchaus verschlungenen Lebensweges Osma bin Ladens sei hier herausgehoben, wie
rasant sich Al-Qaida-Ableger in den meisten ehemaligen Kolonialländern Afrikas
und Asiens ausbreiteten. Insbesondere der amerikanische Geheimdienst und das Militär
der USA versuchten deshalb zusammen mit westlichen Verbündeten, diesem
gefährlichen Treiben ein Ende zu machen. Sie setzten alles daran, Osama bin
Laden zu fangen bzw. sogar umzubringen. Das führte schließlich zum Tod des islamistischen
Heros durch eine Geheimdienstaktion der USA in Pakistan 2011. Allerdings war seit
2006 bereits Aiman az-Zawahiri
(geb. 1951) zur rechten Hand Osama bin Ladens aufgestiegen und wurde faktisch
der logistische Führer des al-Qaida-Netzwerks nach 2011.
durchaus verschlungenen Lebensweges Osma bin Ladens sei hier herausgehoben, wie
rasant sich Al-Qaida-Ableger in den meisten ehemaligen Kolonialländern Afrikas
und Asiens ausbreiteten. Insbesondere der amerikanische Geheimdienst und das Militär
der USA versuchten deshalb zusammen mit westlichen Verbündeten, diesem
gefährlichen Treiben ein Ende zu machen. Sie setzten alles daran, Osama bin
Laden zu fangen bzw. sogar umzubringen. Das führte schließlich zum Tod des islamistischen
Heros durch eine Geheimdienstaktion der USA in Pakistan 2011. Allerdings war seit
2006 bereits Aiman az-Zawahiri
(geb. 1951) zur rechten Hand Osama bin Ladens aufgestiegen und wurde faktisch
der logistische Führer des al-Qaida-Netzwerks nach 2011.
Die politischen und
militärischen Einflussnahmen des Westens – besonders der USA, im Mittleren
Osten – der Syrienkrieg, die zunehmenden Spannungen zwischen Saudi-Arabien
(sunnitisch) und dem Iran (schiitisch) heizten das Terrorklima auch in den maghrebinischen
und ostafrikanischen Regionen und im Jemen weiter an.
In diesem Zusammenhang wird m.E. das 12. Kapitel des Buches besonders wichtig,
weil hier der Aufstieg des sog. Islamischen
Staats und die motivierende Kalifatsidee
herausgearbeitet werden. Hier liegt auch einer der Gründe für eine Loslösung des
Islamischen Staats von al-Qaida, verbunden mit einem verstärkten Einfluss auf
gewaltbereite Islamisten in Europa.
militärischen Einflussnahmen des Westens – besonders der USA, im Mittleren
Osten – der Syrienkrieg, die zunehmenden Spannungen zwischen Saudi-Arabien
(sunnitisch) und dem Iran (schiitisch) heizten das Terrorklima auch in den maghrebinischen
und ostafrikanischen Regionen und im Jemen weiter an.
In diesem Zusammenhang wird m.E. das 12. Kapitel des Buches besonders wichtig,
weil hier der Aufstieg des sog. Islamischen
Staats und die motivierende Kalifatsidee
herausgearbeitet werden. Hier liegt auch einer der Gründe für eine Loslösung des
Islamischen Staats von al-Qaida, verbunden mit einem verstärkten Einfluss auf
gewaltbereite Islamisten in Europa.
Bilanz
Die
Darstellung Behnam T. Saids gibt einen detaillierten Einblick in die
Lebensgeschichten von Menschen, die ihre religiösen Überzeugungen und
politischen Prägungen in terroristische Gewalt weiterhin umsetzen. Er macht
deutlich, dass al-Qaida noch keineswegs am Ende ist, sondern „als Organisation,
Netzwerk und Idee“ durchaus überlebt hat (S. 207). Die Fronten des Terrors
werden sich zwar in Zukunft immer wieder verschieben. Auch Rivalitäten in den
eigenen Reihen sind je nach politischer Situation ebenfalls zu erwarten. Die
grundsätzliche Islamisierung des Westens steht jedoch immer noch als Vision im
Horizont islamistischer Terrorideologie. Darauf wird sich die Politik der
westlichen Staaten möglichst sachkundig und klug einstellen müssen. Dem Autor
ist zu danken, dass er hier kompetent und gut lesbar „Verständnisschneisen“ gelegt
hat, weil die Varianten islamistischer Gewaltideologie und militärischer Praxis
schwer zu durchschauen sind.
Die
Darstellung Behnam T. Saids gibt einen detaillierten Einblick in die
Lebensgeschichten von Menschen, die ihre religiösen Überzeugungen und
politischen Prägungen in terroristische Gewalt weiterhin umsetzen. Er macht
deutlich, dass al-Qaida noch keineswegs am Ende ist, sondern „als Organisation,
Netzwerk und Idee“ durchaus überlebt hat (S. 207). Die Fronten des Terrors
werden sich zwar in Zukunft immer wieder verschieben. Auch Rivalitäten in den
eigenen Reihen sind je nach politischer Situation ebenfalls zu erwarten. Die
grundsätzliche Islamisierung des Westens steht jedoch immer noch als Vision im
Horizont islamistischer Terrorideologie. Darauf wird sich die Politik der
westlichen Staaten möglichst sachkundig und klug einstellen müssen. Dem Autor
ist zu danken, dass er hier kompetent und gut lesbar „Verständnisschneisen“ gelegt
hat, weil die Varianten islamistischer Gewaltideologie und militärischer Praxis
schwer zu durchschauen sind.
English Summary
Behnam T. Said’s portrayal provides a detailed insight
into the life stories of people who continue to translate their religious beliefs and political imprints into
terrorist violence. He makes clear that al-Qaeda is by no means at its end but
has survived „as an organization, network and idea“ (p. 207). The
fronts of terror will shift in the future again and again. Also rivalries in
the own ranks are to be expected depending on the political situation. However,
the fundamental Islamization of the West still stands as a vision in the
horizon of Islamist terror ideology. The policy of the Western states must be prepared
in a qualified and knowledgeable manner. Thanks to the author for the fact that
he has laid competent and well legible “aisles of understanding“ here,
because it is difficult to see through the variants of Islamist ideology of
violence and military practice.
Vgl. Joseph Croitoru –
Im Anschluss an „Die Deutschen und der Orient“: hier
Behnam T. Said’s portrayal provides a detailed insight
into the life stories of people who continue to translate their religious beliefs and political imprints into
terrorist violence. He makes clear that al-Qaeda is by no means at its end but
has survived „as an organization, network and idea“ (p. 207). The
fronts of terror will shift in the future again and again. Also rivalries in
the own ranks are to be expected depending on the political situation. However,
the fundamental Islamization of the West still stands as a vision in the
horizon of Islamist terror ideology. The policy of the Western states must be prepared
in a qualified and knowledgeable manner. Thanks to the author for the fact that
he has laid competent and well legible “aisles of understanding“ here,
because it is difficult to see through the variants of Islamist ideology of
violence and military practice.
Vgl. Joseph Croitoru –
Im Anschluss an „Die Deutschen und der Orient“: hier
Der Märtyrer als Waffe. Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats
München: Hanser 2003, 304 S.
München: Hanser 2003, 304 S.
Reinhard Kirste
Rz-al-Qaida-B.T.
Said, 05.10.18
Said, 05.10.18