
Der Wille, der sich nichtigt
Die Einfachheit der Seele
in Gottes Spiegel-Spielen
Sonne, die uns leuchtet,
sie mittigt meine Seele.
Mitte meiner Seele,
entdeckt den Himmel neu.
Leuchtfeuer Gottes
– wo alles brennt
und Nichts nur bleibt,
da wird die Wirklichkeit zer-nichtigt
und ganz als bloßer Schein entlarvt.
Und wo der Schein zusammenfällt,
da wird auf einmal alles hell.
gibt’s nicht mehr das Warum,
auch nicht mehr ein Wozu –
wozu auch?
Wenn sich Gottes Frieden niedersenkt.
Da heiligen Zwecke nicht die Mittel,
da blüht die Rose, weil sie blüht,
verströmt den Duft,
und in der Luft liegt
schon der Hauch des Himmels.
Marguerite Porète (1250/60-1310) wurde
im nordfranzösischen Hennegau
(Haynaut) in der Nähe von Valenciennes geboren. Sie war eine
kompromisslose Mystikerin. Sie gehört zu den Vorläuferinnen der
Beginen-Bewegung
am Niederrhein und in Flandern. Ihr Buch „Der Spiegel der einfachen
Seelen“,
eines der beliebtesten Meditationsbücher des Mittelalters, wurde zwar
als
Ketzerbuch verbrannt, verbreitete sich jedoch als anonymes Buch
ungeheuer rasch
und weit. Marguerite Porète selbst wurde unter großer Anteilnahme der
Pariser
Bevölkerung 1310 in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt.
Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau: Auf dem Weg zur Achtsamkeit.
Iserlohner Con-Texte Nr. 15 (ICT 15). Iserlohn 1999, bearbeitet als
PDF-Datei 2009, hier S. 71-74