Buch des Monats Dezember 2016: Henri Le Saux – christlich-hinduistische Annäherungen

Bettina Bäumer / Ulrich Winkler (Hg.): Unterwegs zur Quelle des
Seins. Die Relevanz des Lebens und Denkens von Henri Le Saux/Abhishiktananda
für die hindu-christliche Bewegung


Salzburger Theologische Studien 55 – interkulturell 17.
Innsbruck-Wien: Tyrolia
2016, 199 S.
— ISBN 978-3-7022-3455-3 —
 Henri Le Saux
(1910 – 1973),
französischer Benediktinermönch, hat
als  
Brückenbauer zwischen
christlicher und indischer Spiritualität für den interreligiösen Dialog weltweit
entscheidende Leitlinien gesetzt. Sein indischer Name
Abhishiktananda, zugleich Ausdruck seiner indischen
Existenz, bringt zum Ausdruck, das Leuchtfeuer der göttlichen Weisheit –
verbunden mit einem kontemplativen Leben – über die Grenzen der eigenen
Religion hinauszutragen und damit hinduistisch und christlich zugleich zu leben.
Dadurch erhält der christliche Glaube zugleich Anstöße und Bereicherung vom
„Licht des Ostens“.
Die hier versammelten Autoren stammen aus Indien und
Europa. Eine Reihe von ihnen gehört dem Jesuitenorden an. Das Buch bietet eine
Art Querschnitt durch Vorträge und Diskussionen, die seit 2010 im Rahmen der
internationalen Ordensorganisation DIM/MID
(Dialogue Monastique Interreligieux/Monastic Interreligious Dialogue)

gehalten wurden. Alle Autoren darf man zweifelsohne sowohl als Experten für
indische Religionen als auch für den interreligiösen Dialog bezeichnen.
Insgesamt entstand eine Art Vergegenwärtigung von Henri Le Saux.

Angesichts vieler religiöser Spannungen (nicht nur in
Indien) war das Wirken von Henri Le Saux damals keine Selbstverständlichkeit. Aber
sein kontemplatives Leben wurde dennoch zu einem überzeugenden Beispiel. Er
lebte zurückgezogen viele Jahre in einer Einsiedelei im Himalaya. In sein
Denken und in seine non-dualistische (Advaita-)Spiritualität flossen intensiv
Leben und Wirken eines der bedeutendsten indischen Weisen und Gurus ein:
Ramana Maharshi (1879–1950):
http://www.sriramanamaharshi.org/de/

Sein spirituell-interreligiöses
Leben ist darum geradezu eine Empfehlung, seine Erfahrungen aktualisierend in die
heutige Begegnung der Religionen einzubringen. Dabei gilt es, die spirituelle
Kraft religiöser Traditionen in besonderer Weise zu bedenken.
Wie diese Brücke von
heute zu Henri Le Saux geschlagen wird und welche Erkenntnisse sich daraus
ableiten, betonen die Autoren. Sie setzen dabei unterschiedliche Schwerpunkte.

Der
Theologe, Zen- und Yoga-Lehrer
Christian
Hackbarth-Johnson
, in gewisser Weise Schüler von Michael von Brück, hat
ausführlich über Henri Le Saux gearbeitet. Er schrieb eine umfassende Biografie
über diesen Mönch in zwei Welten:
Interreligiöse Existenz. Spirituelle Erfahrung und Identität  
bei Henri
Le Saux (O.S.B.) / Swami Abhishiktananda (1910-1973). Frankfurt et al.: Peter
Lang 2003.

In diesem Beitrag konzentriert er sich mehr auf die
spirituelle Bedeutung des non-dualistischen Advaita-Verständnisses, verbunden
mit tiefenpsychologischen Einblicken in das Leben des Eremiten.



Anders
geht der Münchner Theologe, Religionswissenschaftler und Zen-Meister,
Michael von Brück vor. Er fragt, ob und
inwiefern Henri Le Saux in zwei Religionen zu Hause war. Dazu erläutert er die
drei Ebenen von dessen denkendem Glauben: Angesichts der Notwendigkeit
bildhaften Redens lassen sich, präpersonale, personale und transpersonale
Gottesbilder als zusammenhängend verstehen. Die altindische Philosophie hat
dafür mit der Chakra-Theorie bereits Voraussetzungen geschaffen (S. 45f). Hier
lassen sich dann auch die Bildformen der Trinität einbringen, weil ein
dynamisches Bild der Gottheit das eigene Sein reflektiert, zu sich selbst
bringt und dadurch Ausdruck von Freude wird, christlich gesagt:
Es wird zum „Tanz
der Trinität“ (S. 47).  


Der
Theologe
Fabrice Blée (Universität St.
Paul, Ottawa) sieht die leitenden Gesichtspunkte des (asketischen) Lebens von
Abhishiktananda
in Exil und Wanderschaft.
 Er „ging in den Dialog hinaus“ (S. 67).
Das
erleichtert das Verstandenwerden im Horizont „heiliger Gastfreundschaft“ (S.
68) und ermöglicht spirituelle Vertiefung.


Die
bekannte Indologin und Mitherausgeberin
Bettina
Bäumer
durchleuchtet die hinduistischen (Text-)Quellen, die für den christlichen
Swami wichtig wurden. „Doch war es mehr und mehr die Erfahrung und der Begriff
der
Shakti, der göttlichen Energie,
die ihn anzogen“ (S. 81).
Aufgrund ihrer Forschungen kann sie resümieren, dass
Abhishiktananda
„Christentum und Kaschmir-Shivaismus einander nahebringt“ (S. 86) und in der
Versenkung „nach oben“ gipfelt (S. 87). Hier zeigt sich
 die Erfahrung von
Christi Himmelfahrt in der Sprache der Veden und Upanishaden und zugleich
trinitarisch gespiegelt.

Der
ausführliche Beitrag von
Karl Baier, Religionswissenschaftler
an der Universität Wien
, zieht Verbindungslinien
zur katholischen Theologie der Mystik im 20. Jahrhundert. Als Theologe ist er
beeindruckt, wie
Abhishiktananda mystische Einheitserfahrungen jenseits neuscholastischer
Verfestigungen lebt und begründet.
Damit eröffnet er zugleich ein non-duales
Trinitätsverständnis. Es wird ihm zum Schlüsselthema im Sinne von Perichorese
bzw. einer lebendigen Korrelation und damit auch jenseits von Personalität.   

Der indische
Theologe
Michel Amaladoss SJ ist neben seiner
internationalen Lehrtätigkeit Direktor am Institute
of Dialogue with Cultures and Religions
, dem Jesuitenkolleg in Chennai
(Madras). Ähnlich wie Michael von Brück sieht er das an der Advaita-Frömmigkeit
orientierte Leben von Abhishiktananda als Herausforderung für die indische und westliche
christliche Theologie. Er folgert: „Die Theologie der Religionen wird sich über
die traditionellen Modelle von >Exklusivismus, Inklusivismus und
Pluralismus< hinwegsetzen müssen, auch über das Modell der Komplementarität
oder des relativistischen Pluralismus, der ein Absolutes verneint“ (S. 125).
Aber letztlich bleibt die Einzigartigkeit des (kosmischen) Christus [= der
Purusha der Upanishaden] als eines unnennbaren Mysteriums der Manifestation
bestehen (S. 126).
Fausto Gianfreda SJ, Professor für philosophische
Anthropologie an der Universität Neapel, hebt
die eschatologische Bedeutung der Eucharistie im Leben und im theologischen
Verständnis von Abhishiktananda hervor. Sie wird zum vollkommenen Ausdruck der
Seinserfahrung jenseits dualistischer Begegnung. „Im Erwachen ist es möglich zu
erkennen, dass die Eucharistie in einem gewissen Sinne bereits in unserem Atem
ist“ (S. 145). Sie ist die vollkommene Christus-[Opfer-]Gabe, die in der Tiefe
des eigenen Selbst zu finden ist und den Übergang vom Tod der Selbstsucht zum
Leben für andere bedeutet (S. 155). Die Eucharistie bezeichnet der Autor darum als
„pneumatische koinonia“ (S. 155).
Nicht zu unterschätzen
ist der Einfluss von Henri Le Saux auf die religionspluralistischen Ansätze von
Jacques Dupuis, wie der Theologe und
Indologe George Gispert-Sauch SJ besonders
hervorhebt. Allerdings wollte Dupuis sein Anliegen immer in Übereinstimmung mit
den Lehraussagen der Kirche wissen. Vgl. dazu besonders: Jacques Dupuis und der
religiöse Pluralismus:
http://buchvorstellungen.blogspot.de/2012/09/jacques-dupuis-und-der-religiose.html
Die Wiener Publizistin
und Religionswissenschaftlerin
Ursula
Baatz
fragt, welche missionarischen Ansätze und welche Veränderungen sich
in der Theologie und im Leben von Henri Le Saux spiegeln – auch unter Bezug auf
Hugo Enomiya Lassalle“Ähnlich wie Lassalle davon ausging, dass das Christentum in Japan nur in Resonanz
mit der buddhistischen Praxis glaubwürdig sein könnte, meinte auch Henri Le Saux,
dass nur christliche
Sannyasin [= Entsagende
= spirituell Suchende als Mönche und Asketen] das Christentum glaubwürdig
vertreten könnten“ (S. 177).
Hier ergeben sich Herausforderungen nach West und
Ost: Im westlichen Kontext fällt das Fehlen einer kontemplativen
non-dualistischen Theologie auf, die sich interreligiös achtsam auch stärker
dem Schweigen verpflichtet fühlen müsste. Im indischen Kontext gerät die Forderung
nach Abschaffung der religiös motivierten Kastenordnung zum unübersehbaren
Glaubwürdigkeitsfaktor. Die gemeinsame Basis kann die
Advaita-Erfahrung, die Erfahrung des Selbst sein, auf die sich Henri
Le Saux bezieht. Diese Tiefen-Erfahrung ist ein glaubwürdiger Weg zur
Verständigung zwischen den Religionen, die gesellschaftliche Veränderungen
bewusst mit einschließt.



Der
Beitrag von
Shail Mayaram, Professorin
am
Centre for the Study and Developing
Societies
in Delhi, bringt die theologische und existentielle Frage der Bi-Identität,
der Beheimatung in zwei religiösen Traditionen zur Sprache. Dies ist für den christlichen
Mönch eine spannungsreiche und schmerzliche Erfahrung.
Henri Le Saux erlebt auf seiner
inneren Pilgerfahrt von daher eine extrem heftige Identitätskrise. Sein
„Erweckungserlebnis“ nach dem Herzinfarkt formuliert er so „In mir ist die
Quelle und die Nicht-Quelle, und das sind nicht zwei. Das trinitarische
Mysterium ist die Offenbarung meiner eigenen Tiefe“ (S. 193). Die
„schlechthinnig“ erlebte Wahrheit von Advaita, „die Abhishiktananda half, die
Dualität seiner hinduistischen und christlichen Erfahrung zu überwinden, ist
die Entdeckung des endgültigen wahren >Ich< (aham) in beiden Traditionen“ (S. 195).
Bilanz:
Die Folgerungen von
Ursula Baatz (S.188) lassen sich noch verstärken: Auch über 40 Jahre nach dem
Tod des Henri Le Saux / Swami Abhishiktananda sind sein Leben und seine
Einsichten in die eine Wirklichkeit ein bedeutender
Beitrag, um den interreligiösen Dialog gerade zwischen westlichen und östlicher
Spiritualität weiter voranzubringen.
Reinhard Kirste
Rz-Bäumer-Henri Le Saux, 30.11.2016
Vgl. auch:

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