„Ihr Gott kämpft jeden Tag für
sie“.
Krieg, Gewalt und religiöse Vorstellungen
in der Frühzeit der Kreuzzüge
(1095–1187)
2019, 241 S., Personen- und Ortsregister
— ISBN
978-3-506-79242-6
— auch als e-book erhältlich
Bibliothek (IRB):
Buch des Monats November
2019
bereits die Intentionen seiner hier in Überarbeitung vorliegenden Dissertation
(WS 2016/2017, Universität Vechta). Er lässt nämlich eine muslimische Frau mit
offensichtlich pro-christlichen Ansichten zu Worte kommen, die allerdings aus
den parteiischen Kreuzzugsberichten Gesta
Francorum (um 1100) stammen. Sie bestätigen natürlich, dass der Gott der
Christen täglich gegen die ungläubigen Muslime vom Himmel her kämpft (S. 83f). Dahinter
steht das zentrale religiöse Begründungsmotiv für die Kreuzzüge: Gott habe
gewollt, dass die Heiligen Stätten – insbesondere Jerusalem – auch militärisch
zurückgewonnen werden sollten (S. 53f). So rücken politische und religiöse
Interessen im Zusammenhang kirchlicher Machtansprüche in den Fokus und bringen
den Faktor „Religion“ direkt in Bezug auf Krieg und Gewalt direkt ins Spiel (S.
3).
Was im Zitat des Buchtitels quasi komprimiert ist, beschreibt der Autor nun
– unter ausführlicher Berücksichtigung der derzeitigen Forschungslage – im 1.
Kapitel: Politisch-religiöse Rahmenbedingungen im Blick auf die Rechtfertigung
von Krieg und Gewalt am Vorabend der Kreuzzüge. Zur genaueren Bearbeitung
dient die Erkenntnis, dass die biblisch geprägte Sprache der Chronisten des 1.
Kreuzzugs geeignete Stellen des Alten Testament benutzt, um so die
Gewaltrhetorik zu legitimieren. Dies gab es vorher nicht; erst das Reformpapsttum
rechtfertigte auf diese Weise die Notwendigkeit der Befreiung Jerusalem von den
ungläubigen Muslimen (S. 17f). Immer wieder wird darum Psalm 79 angeführt, der
sich auf die Entweihung des Jerusalemer Tempels durch Antiochus IV. Epiphanes
167 v. Chr. bezieht. Zugleich wird aber auch eine innerchristliche Problematik markiert
auf Grund der Verwüstungen, die durch die Feld- und Raubzüge des „christlichen
Kriegeradels“ entstanden. Die politische brisante Situation Ende des 11.
Jahrhunderts ließ den Gottesfrieden bei divergierenden Machtinteressen kaum zu.
Der Kreuzzugsgedanke war damit eine fast geniale Möglichkeit, die Einheit der
Christenheit wieder zu betonen, und zwar durch das Feindbild Islam. So setzten
sich die Reformpäpste – zugleich als Führer der militia sancti Petri – mit ihren Neuordnungskonzepten vehement für
die Stärkung der kirchlichen Macht ein. Das Ziel war, gegenüber der weltlichen,
besonders der kaiserlichen Herrschaft bei der Einsetzung (Investitur) von
Bischöfen (die oft zugleich weltliche Herrscher waren) die päpstliche Priorität
zu sichern. Papst Gregor VII. (um 1025-1085) ist das herausragende Beispiel im
Zusammenhang des berühmten Investiturstreits, der unter Papst Calixt II.
(1060–1124) im Jahre 1122 mit dem Kompromiss des Wormser Konkordats endete. Von
daher ist es verständlich, dass der Kreuzzugsgedanke – trotz der Planungen
Gregors VII. – erst relativ spät in die Realität umgesetzt wurde. Eine
Schlüsselrolle spielen dabei offensichtlich die in drei Versionen existierende
Kreuzzugspredigt von Papst Urban II. am Schluss des Konzils von
Clermont-Ferrand im Jahre 1095. Gewalt und Töten als Form der Buße durch das
Ableisten eines entsprechenden Gelübdes – war dabei der Gipfel einer bisher so nicht
dagewesenen Auslegung der christlichen Botschaft, in der auch die Schändung der
heiligen Stätten der Christenheit durch die Muslime als zusätzliches
Verstärker-Argument für den wahren Glauben diente.
Überblick zum Gesamtereignis im 2. Kapitel ausführlich dargestellt –
wurde lange von Kreuzfahrern, Chronisten und Erzählern weiter verbreitet. Die
Betonung der religiös begründeten Massaker – bereits in Antiochia und
schließlich in Jerusalem – mischt sich mit dem Glauben, dass die Siege dem
himmlischen (Wunder-)Wirken zu danken seien, denn schließlich hatten – so die
päpstlich abgesegnete Meinung – die Ungläubigen die heiligen Orte der
Christenheit verunreinigt und geschändet. Es wundert darum nicht, dass auf
diese Weise die Rachementalität beunruhigend weiter angeheizt wurde. Die
ambivalente Faszination der Kreuzfahrer, selbst an den originalen Stätten Jesu
zu sein, setzte zugleich Kraft für weitere Kämpfe frei, denn nicht jede
Schlacht war siegreich, und manche Ereignisse wurden legendarisch überhöht. So
gab es bei einzelnen Berichten Zweifel, wie z.B. beim Auffinden der Lanze des
Hauptmanns am Kreuz (S. 111) oder im Blick auf die Fragmente des wahren Kreuzes
Christi (S. 115). Aber aufkeimende Kritik wurde dann oft durch „passende“
Visionen und Analogien zur Heiligen Schrift beiseite geräumt.
unmittelbar Betroffenen und Beteiligten des 1. Kreuzzugs mussten natürlich die
Geschehnisse für die Daheimgebliebenen entsprechend aufbereitet werden.
Diese Phase beschreibt der Autor in Kapitel 3. Das Problem spitzte sich
dadurch zu, dass die zweite Welle des 1. Kreuzzugs viele Niederlagen erleben musste,
besonders in der Schlacht von Merzifon (Türkei) im Jahre 1101. So konnte nur
ein Teil des Heeres 1102 in Jerusalem seine Gelübde erfüllen. Crispin hebt hier
wiederum die Gesta Francorum hervor,
weil dieser Bericht „den sicherlich größten Einfluss auf folgende Werke
entfaltete und das Bild der Unternehmung bis heute entscheidend prägt“ (S.
133). Die Verunreinigung der heiligen Stätten der Christenheit spielte dabei weiterhin
eine dominierende Rolle, aber ebenso fließen apokalyptische Motive ein – wie des
Antichristen und die zur Erfüllung kommenden die Prophezeiungen im Buch Daniel
(S. 151).
Diese endzeitlich geprägte Siegermentalität beeinflusste in erstaunlicher Weise
die folgenden zum Scheitern verurteilten Kreuzzugsunternehmungen, wie Crispin
anschaulich im 4. Kapitel am Misserfolg des 2. Kreuzzugs von
1145–1148 vorführt. Erheblichen Einfluss zur Rekrutierung des 2. Kreuzzugs
hatten der Zisterzienser-Abt Bernhard von Clairvaux und der ebenfalls zum
Zisterzienserorden gehörende Papst Eugen III. Die Niederlagen wurden natürlich
weniger publik gemacht als die Siege des 1. Kreuzzugs. In den Berichten
schimmert aber auch strategisches und taktisches Fehlverhalten der Kreuzfahrer
durch, am deutlichsten vielleicht am Nebenschauplatz der Eroberung Lissabons als
Etappe auf dem Weg ins Heilige Land! (S. 184).
Kreuzfahrerstaaten durchsetzten, hängt mit dem Aufstieg und der
Machtausbreitung Sultan Saladins zusammen. Bei der Schlacht von Hattin 1187
wurde das lateinische Heer so gründlich geschlagen, dass das Ende der lateinischen
Herrschaft mit Jerusalem als christlicher Hauptstadt besiegelt schien.
Der bereits 1186 gestorbene Erzbischof Wilhelm von Tyrus und Kanzler des
Königreiches Jerusalem hatte als Repräsentant der lateinischen Präsenz im
Vorderen Orient die sich zuspitzende Situation weiterhin im Glanz des
1. Kreuzzugs geschildert und besonders die damaligen Gewaltexzesse in Jerusalem
als quasi notwendig interpretiert. Das half allerdings nun nicht weiter, denn
die Kreuzfahrer sahen sich aufgrund der für sie verschlechterten politischen
Situation genötigt, mit den „Ungläubigen“ Verhandlungen und Kompromisse
einzugehen. „Während man einerseits in den Auseinandersetzungen mit den
muslimischen Nachbarn durchaus pragmatisch vorging und Gewalt vermeidende
Strategien eine wichtige Rolle für die Sicherung der lateinischen Präsenz im
Vorderen Orient spielten, blieben andererseits die Erinnerung an die blutigen
Triumphe des Ersten Kreuzzugs … präsent“ (S. 204).
zwischen 1095 und 1187, dass der 1. Kreuzzug als von Gott geleitete Fügung und
Führung als unausweichlich erachtet wurde, um die christlichen Stätten von der
Verschmutzung (pollutio) durch die ungläubigen Muslime zu reinigen,
gewissermaßen mit dem eisernem Besen. Dieses Narrativ motivierte zum 2.
Kreuzzug, zumal auch die Teilnahme an einem Kreuzzug als Bußleistung die
Kreuzfahrer dem himmlischen Heil näher brachte. Der vernichtende Ausgang dieser
Unternehmung und die Eroberung Jerusalems durch die Muslime nötigten dazu, quasi
noch einmal von vorn zu beginnen, um die Heilige Stadt zurückzuerobern. Dazu
benutzte man stereotyp dieselbe religiöse Argumentation wie zuvor. Insgesamt
jedoch zerfaserte sich die Kreuzzugsbewegung, besonders durch innereuropäische Kreuzzüge
gegen Häretiker und politische Feinde des Papsttums.
Gewaltvorstellungen im Zeitalter der Kreuzzüge
Crispin beschränkt sich mit seiner Arbeit auf die erste Phase der Kreuzzüge. Er
zeigt, wie sich besonders durch die Siege im 1. Kreuzzug ein Narrativ verstärkt,
so dass sich mit biblischen „Begründungen“ Gottes Kriegswillen belegen ließ und
die kirchliche Autorität das Feindbild – die Muslime als Ungläubige – weiter aufheizte.
Dieses Argumentationskonstrukt motivierte auch zu den weiteren Kreuzzügen.
Daran änderten auch die vernichtenden Niederlagen des 2. Kreuzzugs kaum etwas,
vielmehr mussten die Heiligen Stätten nun aufs Neue von den Ungläubigen befreit
werden. Allerdings ging der zielgerichtete Impetus der Anfänge Ende des 12.Jh.s
und im 13. Jahrhundert verloren. Der Kampf richtete sich nun verstärkt auf die
Ungläubigen, Häretiker und Feinde des Papstes in Verbindung mit weltlichen
Herrschern, die daraus erheblichen Nutzen ziehen konnten (wie besonders Philipp
IV., der Schöne, von Frankreich bei der Vernichtung der Templer im 14.
Jahrhundert).
Bedenkt man den zunehmenden Einfluss extrem-fundamentalistischen Gedankenguts
in der Gegenwart gerade mit Berufung auf Bibel und Koran, dann wird deutlich,
dass frühzeitig religiös begründete Gewalt und Herrschaftsphantasien ein Riegel
vorgeschoben werden muss, damit nicht Gottes Wille zur Rechtfertigung der
eigenen Gewalt dient.
of view
Les croisades d’un point de vue islamique / Las cruzadas desde un punto de vista
islámico
Der Kampf ums Paradies. Eine islamische Geschichte der Kreuzzüge.
Unter
Mitarbeit von Michael Sailer.
Darmstadt: Philipp von Zabern 2015,
428 S.
„sehepunkte“ 15 (2015), Nr. 9 (Philipp Goridis):
http://www.sehepunkte.de/2015/09/26869.html
the Italian by E.J. Costello.
New York: Dorset Press 1989, XXXVI,
362 pp., index
— Malcolm Cameron Lyons & D.E.P. Jackson: Saladin. The politics oft he Holy War.
Cambridge (UK) u.a. / New York u.a.:
Cambridge University Press [1982], 1984, VIII, 456 pp., index
— Usama Ibn Munqidh: Ein Leben im Kampf gegen die Kreuzritterheere
Aus dem Arabischen übertragen und
bearbeitet von Gernot Rotter.
München: Goldmann TB 8776, 1988,
261 S., 1 Karte, Glossar
Gentleman and Warrior in the Period of the Crusades.
Memoirs of Usamah
Ibn-Munqidh.
Translated by Philip K. Hiti. London:Tauris
1987, XI, 265 oo., illustr., maps, index
— Historia No. 630 (juin 1999), 112 pp., illustr.: Chrétiens et Musulmans.
Le
Choc. Il y a 900 ans à Jérusalem (Dossier: pp. 35–61)