Dem Judenhass und Antisemitismus Einhalt gebieten —— Laupheimer Gespräche 2018

Haus der Geschichte
Baden-Württemberg (Hg.)
:
Antisemitismus
in Geschichte und Gegenwart

Laupheimer
Gespräche 2018 — Reihe:
 Laupheimer GesprächeBand: 19
Heidelberg: Universitätsverlag Winter
2019, 165 S., Abb., Register           

ISBN 978-3-8253-4614-0 — Alle bisherigen Laupheimer
Gespräche seit 2003:

https://www.winter-verlag.de/en/programm/buchreihen/judaica/reihe132/Laupheimer_Gespraeche/alle/


Museum zur Geschichte von Christen und Juden,
Schloss Großlaupheim

Das Jüdische Museum im Schloss Großlaupheim (südlich von
Ulm) bietet nicht nur beeindruckende Zeugnisse aus der (vergangenen) jüdischen
Welt Württembergs, sondern ist auch zu einem Ort des intensiven Gesprächs zur
(christlichen) Begegnung mit dem Judentum in heutiger Perspektive geworden.
Vgl.: https://museum-laupheim.de/
Jedes
Jahr finden hier die vom Haus der
Geschichte Baden-Württemberg
organisierten Laupheimer Gespräche statt, die die Vielfalt, Bedeutung und
Dramatik jüdischen Lebens in Deutschland zum Ausdruck bringen:

https://www.hdgbw.de/veranstaltungen/reihen/laupheimer-gespraeche/
2019 war bereits die
20. Veranstaltung dieser Art. Hier soll allerdings
der Blick auf die Gespräche von 2018 gelegt werden, weil in beunruhigender
Weise seit längerer Zeit antisemitische Äußerungen und Gewaltakte gegen
Synagogen und jüdische Friedhöfe gefährlich zunehmen. Man gewinnt fast den
Eindruck, als würde antisemitisches Vokabular in Teilen der Bevölkerung
(wieder?) salonfähig werden und die sozialen Medien diese Tendenz noch anheizen.
Vgl. Michael Blume (Antisemitismusbeauftragter der
BW-Landesregierung):
Warum der Antisemitismus uns alle bedroht. Patmos 2019 — 
Rezension >>>
Die Ausschreitungen gegen Juden und jüdische
Einrichtungen lassen sich wahrhaftig nicht als Randphänomen oder als das
Handeln von sog. Einzeltätern abtun. Mehrere Referenten bei den Gesprächen
betonten in diesem Zusammenhang die lange und sich erstaunlich hartnäckig
haltenden Ressentiments gegen Juden in Deutschland, aber auch in andern Teilen
Europas und in den USA – von dem speziellen arabischen Antisemitismus einmal
abgesehen.


Im Vorwort schreibt Paula
Lutum-Lenger
,
Leiterin des Hauses der Geschichte BW: „Wir stehen
gegenwärtig einer Welle des unverblümt geäußerten Antisemitismus gegenüber.
Deshalb ist das Erkennen von Judenfeindschaft in der Sprache wichtig …Ebenso
zentral ist das Erkennen in Bildern“ (S. 12).
Monika Schwarz-Friesel (Linguistik-Professorin an der TU Berlin) untersucht darum
mit ihrem Beitrag den
Antisemitismus
2.0: der ‚neue alte‘ Judenhass als Vernichtungswille
.
Sie zieht
beängstigende Beispiele des hemmungslosen Judenhasses aus den sozialen Medien (so
bei Twitter Facebook und YouTube) heran und zeigt, wie sich derzeit
Anti-Zionismus und Anti-Israelismus verbündet haben. Man kommt bei der
Bekämpfung des Antisemitismus aber nicht weiter, wenn man nicht endlich die
kulturell verankerten Ressentiments genauer untersucht. Das muss auch den
Politikern gesagt werden. Juden werden seit Jahrhunderten mit dem „ Bösen in
der Welt“ identifiziert (S.23). Der Projektionsort des kollektiven Hasses von
Antisemiten aller Genres artikuliert sich aktuell in den Sprachmustern, wo sich
Vernichtungswille mit Erlösungsphantasien paaren (29f).
Der Münchener Aktionskünstler Wolfram Kastner sieht im Umgang mit den sog. Schmähskulpturen „Judensau“ an deutschen Kirchen, wie sich hier
„Sehstörung, Verdrängung und die Unfähigkeit angemessener Lösung“ breitmachen.
Sein mit Bildern unterlegter Bericht stellt diese in Stein gehauenen
Beleidigungen an ausgewählten Darstellungen vor:


in Köln, Cadolzburg, Regensburg., Nürnberg, Bad Wimpfen, Zerbst und Wittenberg
(auch im Zusammenhang mit Luthers Judenhass). Der Autor zeigt sich beunruhigt,
dass sich die Verantwortlichen oft wegducken und selbst klärende Texte nur mit
Mühe dann angebracht werden konnten. Im Grunde aber müssten diese „Saubilder“ aus
dem öffentlichen Raum deshalb entfernt werden, weil sie den von der UNESCO
festgelegten Weltkulturerbe-Maximen der Menschenwürde entgegenstehen
Auf das 200jährige
problematische Zusammenleben von Christen und Juden in der Region Laupheim
geht
der Beitrag von Michael Koch ein,
dem Pädagogischen Leiter des Museums zur
Geschichte von Christen und Juden im Schloss Großlaupheim
. An vier dokumentarischen
Beispielen aus dem Museum fragt er, ob man aktualisierend Laupheimer Juden unterstellte,
sie hätten Jesus mitgekreuzigt („Christusmörder“), warum ein Jude als
Brandstifter denunziert wurde, ob Juden im 19. Jahrhundert letztlich
emanzipationsunwillig sind und wie sich Juden scheinbar vor dem Soldatsein im 1.
Weltkrieg drückten, obwohl die gegenteiligen Beweise auffällig sind.
Pädagogisch werden die Exponate des Museums zum „Rückspiegel, der den Blick auf
die Gegenwart schärft, wann immer das Verhältnis  von Mehrheits- und Minderheitsgesellschaft
thematisiert wird“ (S. 77f).
Der in Detroit lebende bekannte amerikanische
Literaturwissenschaftler und Leiter eines Holocaust-Museums
Guy Stern (geb. 1922 in Hildesheim)
stellt
Propheten einer negativen Utopie (Dystopie) vor, die von der Sorge
umgetrieben sind, dass die amerikanische Demokratie zugunsten einer neuen
faschistischen Weltordnung Platz greifen könnte. Drei bekannte amerikanische,
gesellschaftskritische Schriftsteller haben in ihren Romanen solche Szenarien
aufscheinen lassen:
Sinclair Lewis
(1885–1951),
Laura Z. Hobson
(1900–1986) und
Philip Roth
(1933–2018). Sie alle sehen auf ihre Weise, die zerstörerischen Wirkungen des
Antisemitismus heraufziehen.
Marc Grimm vom Zentrum für Prävention und Intervention
im Kindes- und Jugendalter (Universität Bielefeld) 
analysiert den Antisemitismus
und Pro-Israelismus in der AfD
, indem er sich auf die Protagonisten dieser
Form des Rechtsextremismus bezieht. Er bilanziert sehr deutlich:
„Die
Geschichtspolitik der Partei zielt auf eine Abwertung der Erinnerung des Holocaust
und damit auch der Opfer des Holocaust. Zugleich ist eine Aufwertung der Taten
deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen beabsichtigt, die notwendig mit einer
Abwertung der antisemitischen Vernichtungsideologie einhergehen … Israel dient
als Projektionsfläche, dem die von der AfD forcierten politischen Absichten
zugeschrieben werden (u.a. Umgang mit dem Islam)“ (S. 120). Nur der muslimische
Antisemitismus interessiert in der AfD, dem man nämlich nur durch die
Ausgrenzung der Muslime beikommen kann.

Zusammenfassung:
Die Geschichte ernst nehmen und kreativ lernen,
um heute dem Antisemitismus
Einhalt zu gebieten
Der Anschlag auf die
Synagoge in Halle/Saale am höchsten jüdischen Feiertag, Jom Kippur (14.10.2019)
dürfte auch dem letzten Zweifler klar gemacht haben, wie gefährlich und von
Teilen der Bevölkerung (indirekt) gebilligt, Judenfeindschaft zu einem
dramatischen gesellschaftlichen Problem geworden ist. „Der Schoß ist fruchtbar
noch, aus dem das kroch“, sagte Bert Brecht bereits 1941 – und inzwischen
gebiert er wieder! Das besonders Wichtige dieses Buches scheint mir darum zu
sein, dass die Referenten bei den Laupheimer Gesprächen 2018 die dunkle Geschichte
antijüdischer Ressentiments in verschiedenen Zusammenhängen verdeutlichen
wollten. Dadurch wird deutlich, dass der christlich motivierte Judenhass und
der politische Antisemitismus immer schon eine bewusst gefährliche Konflikte
schaffende Verbindung eingegangen sind, die sich nun sogar in den öffentlichen Medien
(nicht nur in den Social Medias) präsentieren darf. Es kann letztlich in einer
Demokratie nicht hingenommen werden, dass Synagogen und jüdische Personen
Polizeischutz brauchen! Darum sind kreative Bildungsangebote in der Schule,
aber auch in der Erwachsenenbildung dringend gefragt, damit eine plurale
Gesellschaft lernt, mit Vehemenz für die Werte einer friedlichen Zukunft einzutreten,
in der auch Minderheiten ihren gleichwertigen Platz haben.


Reinhard Kirste 
Rz-Laupheim-Antisemitismus, 11.01.2020
CC 
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