Die Wege der Jakobspilger – Grenzgänger zwischen Abendland und Morgenland (aktualisiert)


In der Apostelgeschichte wird vom
Martyrium eines der Jünger Jesu, Jakobus des Älteren, dem Bruder des Johannes, berichtet.
König Herodes Agrippa ließ ihn vermutlich im Jahre 44 in Jerusalem „mit dem
Schwert hinrichten“ (Apg 12,2). Danach wurde es still um diesen Jünger und
erst im Mittelalter tauchte seine Gestalt mit vielen Legenden verwoben wieder
auf.

Andreas Drouve
schreibt zur Variante des berühmten Erzählers
Jakob de Voragine: „Hält man sich an Voragines Version, nahmen
Jakobus‘ Jünger seinen Leib, legten ihn auf ein Schiff, bestiegen das Boot ohne
Rudermannschaft, überließen den Ort der Bestattung der göttlichen Vorsehung und
landeten, vom Engel des Herrn geleitet, an der Küste Galiciens. Dort befand
sich das Reich der Königin Lupa, der „Wölfin“. Die Jünger nahmen den Leib
vom Schiff, erstatteten Lupa Bericht von ihrer wundersamen Reise und erbaten
einen würdigen Platz für die Bestattung. Die Königin jedoch war verschlagen und
listig. Sie überließ den Jüngern Rinder und einen Karren, um den Leib des
Verstorbenen darauf wegzuschaffen. Wohl wissend, dass es sich bei den Rindern
um wilde Stiere handelte, hoffte sie auf einen raschen Tod der Jünger. Ein
Kreuzzeichen besänftigte jedoch die Stiere, die den Wagen daraufhin mitten in
Lupas Palast fuhren. Als die Königin dies sah, erschrak sie …, nahm den
christlichen Glauben an und übte sich den Rest ihres Lebens in guten Werken.
Die Jünger … lenkten den Karren landeinwärts. Auf einem Grundstück namens
Libredón bestatteten sie Jakobus …
  Erst
im ersten Drittel des 9. Jahrhunderts – die Erzdiözese von Santiago de
Compostela spricht von den Jahren um 829 – wurde die Grabstätte
wiederentdeckt“, und zwar aufgrund von Lichtphänomenen, die ein Einsiedler und der
Bischof genau des galizischen Ortes sahen, an dem der Leichnam knapp 800 Jahre
die Iberische Halbinsel erreicht hatte.
Andreas Drouve: Lexikon des Jakobswegs.

Personen – Orte – Legenden.

Freiburg u.a. 2006, S. 73-75)
.

Diese
Wiederentdeckung erfolgte sozusagen rechtzeitig im Zuge der
Auseinandersetzungen mit den arabischen Eroberern der Iberischen Halbinsel.
Die Christen in Europa sahen sich durch die Muslime  bedroht, nachdem diese im Jahre 711 begannen, das westgotische Spanien zu erobern. 732 konnten in der Schlacht bei Tours und Poitiers die Eroberungs- und Raubzüge in der Mitte Frankreichs einigermaßen gebremst werden. Inzwischen war nur noch der Nordwesten Spaniens christlich geblieben.
In einer solchen Situation war eine
Identifikationsfigur für dies in Bedrängnis geratenen christlichen Herrscher nötig. Dies dürfte
der Hintergrund sein, warum die Jakobus-Legenden entstanden. Sie passten auch in das
Schema der weltweiten Mission des Christentums, bei welcher Jakobus, Jünger Jesu und Apostel, schon zu seinen
Lebzeiten nach Spanien gekommen sein sollte.
Das Ereignis der Wiederentdeckung des Jüngergrabes
verbreitete sich erstaunlich schnell bis nach Osteuropa. Die Gräberwallfahrten
zu den Heiligen und der Reliquienkult hatten in Europa bereits erheblich zugenommen. Die
Gläubigen erwarteten an diesen heiligen Orten Vergebung der Sünden, Heil und
Heilung gleichermaßen; und die Kirche förderte diese Bewegung intensiv mit
einer Vielzahl möglicher Sündenablässe. So machten sich viele Pilger auf die
gefährliche und weite Reise fast bis an das Ende der Welt. 
Da die Wege dorthin im
Grenzgebiet zwischen den arabischen und christlichen Fürstentümern lagen,
erhoffte man sich natürlich vom Hl. Jakob seelischen und körperlichen Beistand. Und diese Hoffnung schien nicht
unbegründet, denn schließlich war Jakobus selbst auf einem Pferd bei der
Schlacht von Clavijo 844 den Christen voran geritten und hatte ein maurisches
Heer in die Flucht geschlagen. 
Vgl. Andreas
Drouve:
Die Wunder des Heiligen Jakobus. 
Legenden am Jakobsweg.

Freiburg u.a.: Herder 2007 —
Rezension: hier


Nachdem es überdies im 12. Jahrhundert schwieriger,
ja fast unmöglich geworden war, nach Jerusalem zum Heiligen Grab (Jesu) zu pilgern
und auch die Kreuzzüge nichts daran änderten, übernahm die nach dem Heiligen
benannte Stadt Santiago de Compostela gewissermaßen diese Funktion und wurde so
zum „westlichen Jerusalem“, das erst durch die Reformation an Bedeutung verlor.



Bedeutende Jakobswege (Wikipedia-Santiago de Compostela)

So
geschah lange Zeit relativ wenig, aber seit der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde
die Pilgerbewegung auf dem Jakobsweg wieder ein europäisches und sogar
internationales Phänomen. Das zeigte sich schon 2004, ein „Ano
Xacobeo“, das immer ausgerufen wird, wenn der Todestag des Jüngers (25.
Juli) auf einen Sonntag fällt. Einen erheblichen weiteren Schub brachte in Deutschland
auch das Buch von
Harpe Kerkeling:  „Ich bin dann mal weg“ (München 2006). So
geht die Pilgerzahl jährlich inzwischen in die Hunderttausende. Die
Ursache dieses Booms liegt sicher nicht nur in den auflagenstarken Büchern und
Pilgerführern, die sich diesen Trend zunutze machen, sondern auch an einem seit den
90er Jahren des vorigen Jahrhunderts stets wachsenden Interesse an dieser spirituellen
Art des Reisens. In der Pilgerschaft werden Körper und Seele extrem herausgefordert . 

Der typische Jakobspilger
Jakobsbrunnen Soest – 2250 km bis Santiago

Eine weitere Folge ist, dass auch in Deutschland mehr
und mehr Wegstrecken (wieder) mit der Jakobsmuschel gekennzeichnet sind und inzwischen viele regionale Wege entstanden sind. 

Jakobswege in Deutschland
Eigentlich gehen alle auf dem Jakobsweg, die irgendwo auf der Welt in Richtung Santiago de Compostela unterwegs sind.
In Deutschland gibt es 30 offizielle Jakobswege 
(DW, 31.05.2021 – mit Bildergalerie)


Welver: Via Baltica Verlag 2016, 2. überarb. Aufl., 142 S. 

So
zeigen sich die Jakobswege inzwischen wieder als ein Wegenetz von wahrhaft
europäischer Bedeutung. Von daher müsste sich auch der „Maurentöter“ Jakobus zur
Integrationsfigur wandeln, um angesichts der spannungsgeladenen Geschichte von
Christentum und Islam Versöhnung stiftend zu wirken. Einem Jesusjünger stünde
dies wohl an. 
                               >>> Weitere Informationen:

                        Etappen auf dem Jakobsweg

Pilger-Kathedrale S. Marie-Madeleine, Vézelay – Mystischer Weg: Die Tympana und Kapitelle 























PILGERN allgemein und der JAKOBSWEG im Besonderen

  • Deutsche Jakobswege: Übersicht
  • Vézelay und der Jakobsweg:
    Die Via Lemovicensis

  • Aragón, Puerta de Europa.
    Los Aragoneses y el Camino de Santiago
    en la Edad Media

    Autores: Teresa Iranzo  
    Iranzo Muñío / Carlos Laliena Corbera / J. Ángel Sesma Muñoz,
    Juan F. Utrilla Utrilla.
    Zaragoza: Gobierna de Aragón 2005, 254 pp., illustr.





Wegzeichen für die Jakobspilger
Reinhard Kirste

CC 



relpäd/Jakobs-Pilgerweg.




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