Die weibliche Seite des Sufismus: Das Beispiel der Rabi’a von Basra (ca. 717 – 801)

Rabi’a von Basra – persische Miniatur (wikipedia)



Rābiʿa al-ʿAdawiyya al-Qaysiyya lebte
in Basra  – im Süden des heutigen Irak.
Sie
erwarb sich bald den Ruf einer ungewöhnlich Glaubenden. Zur damaligen Zeit gab es
bereits ein Schule weiblicher Asketen, von der sie wahrscheinlich beeinflusst wurde.
Sie selbst lebte offensichtlich in einem Kreis islamischer Mystikerinnen, die
in ihrer Spiritualität die Gottesliebe zum Thema machten. Überhaupt war Basra schon
länger ein Ort sufischer Frömmigkeit.
Berühmt waren die „Gottesfreunde“ und
besonders al-Hasan
al-Basrī
. Rābiʿa hat ihn wohl nie getroffen, aber in den
Legenden treten die beiden oft gemeinsam auf. Die großen spirituellen Wirkungen
zeigen sich auch weiterhin, wie an den  „Lauteren
Brüder“ von Basra aus dem 10. Jahrhundert zu sehen ist.

„Die Lauteren
Brüder von Basra
 unternahmen im
Zweistromland bereits im 10. Jahrhundert, was die europäischen Enzyklopädisten
erst im 18. Jahrhundert angingen, nämlich das Unterfangen, eine Sammlung des
universalen Wissens herauszugeben. Dabei entstanden 51 Episteln, die bei den
Treffen der Bruderschaft auch zu Zwecken der Unterweisung verwendet wurden. Von
Obrigkeit und Orthodoxie misstrauisch beäugt, erlitten die Lauteren Brüder
immer wieder Zeiten der Verfolgung. Im 19. Jahrhundert veröffentlichte
Friedrich Dieterici seine deutsche Übersetzung von 40 der Episteln, ohne jedoch
diejenigen mit vornehmlich mystisch-spirituellen Inhalten zu berücksichtigen.
1995 erschienen fünf davon (43-47) in der englischen Übersetzung von Eric van
Reijn.: The Epistles oft he Sincere Brethren. Annoted Translation of Epistles
43 to 47. London: Minerva 1995. Deutsch liegt bisher nur die Epistel 45 vor: Von
der Freundschaft.
Aus der Verlagsankündigung zu Eric
von Rijn (Hg.):
Die Lauteren Brüder von Basra
– Von der Freundschaft (Epistel 45).
München: Books Ex Oriente  2011, 52 S.

               Annemarie Schimmel beschreibt sehr
eindrücklich
das Wirken der Rabi’a von Basra:

„Die
Asketen aber suchten das Reich der Seele und des Herzens zu erobern. Eine
entscheidende Rolle fiel dabei einer Frau zu. Der Name der Rabi’a al-Adawiyya oder Rabi’a von Basra (nach ihrer Heimatstadt)
steht am Anfang der eigentlichen Mystik im Islam; sie war es, der die
Verwandlung düsteren Asketentums in echte Liebesmystik zugeschrieben wird.
Jedermann kennt die Geschichte, wie die fromme Asketin durch Basra lief, einen
Eimer Wasser in der einen, eine brennende Fackel in der anderen Hand, und als
sie nach dem Sinn ihres Vorhabens gefragt wurde, antwortete sie:
Ich
will Wasser in die Hölle gießen und Feuer ans Paradies legen, damit diese
beiden Schleier verschwinden und die Menschen Gott nicht aus Furcht vor der
Hölle oder aus Hoffnung aufs Paradies anbeten, sondern allein um seiner
urewigen Schönheit willen.
Diese
oft wiederholte Legende hat ihren Weg auch in die christliche Welt gefunden.
Sie wurde durch Joinville, den
Vertreter Ludwigs IX., ins Abendland gebracht und wurde von dem Quietisten Camus in seinem 1640 erschienenen Buch „Carité ou la Vraie Charitée“ wiedererzählt;
die Illustration zu seinem Werk zeigt eine orientalisch gekleidete Frau mit
Fackel und Eimer, über deren Haupt eine Sonne mit der hebräischen Inschrift
YHWH strahlt, so den morgenländischen (nicht aber den islamischen) Ursprung der
Geschichte andeutend. Danach taucht sie auch in den verschiedensten Varianten
in der europäischen Literatur auf.
Es
gibt zahllose Anekdoten, die sich um Rabi’a, die freigelassene Sklavin aus
Basra, ranken. Basra war nämlich in der Frühzeit die Heimat vieler Asketen; der
gelehrte und fromme Prediger Hasan
al-Basri
(gest. 728) wird in Legenden oft mit Rabi’a verbunden. Die großen
Hagiographen der islamischen Welt haben ihr lange Abschnitte gewidmet; sie war
in menschlicher Vollkommenheit „deutlich vielen Männern überlegen, weshalb sie
auch die ‘Krone der Männer’ genannt wurde“ wie Muhammad Zihni in seinem Werk über berühmte Frauen (maschahir an-nisa) schreibt. Und bis
heute kann eine fromme oder anderweits ausgezeichnete Frau als „zweite Rabi’a“
bezeichnet werden.
Ungezählte
Wunder werden ihr zugeschrieben: ihre Fingerspitzen leuchteten nachts wie
Lampen, und die Kaaba kam ihr entgegen, als sie die Pilgerfahrt unternahm (was
einen anderen Sufi verständlicherweise ärgerte). Sie lehnte alle irdischen
Bindungen, wie Ehe, ab und schwebte auf ihrem Gebetsteppich durch die Luft. An
einem schönen Frühlingstag blieb sie in ihrem Kämmerlein und, von der Dienerin
gemahnt, doch Gottes herrliche Schöpfung in den Gärten zu bewundern, meinte
sie, die Schönheit Gottes sei im Innern, während die äussere Schönheit nur eine
Widerspiegelung der inneren Schönheit sei – eine Geschichte, die Rumi auf einen ungenannten Asketen
übertrug und im Mathnawi (M IV 1518f)
verwendete. Und wenn Attar in seinen Ilahinama (XXII) vom Lichte Gottes
spricht, schreibt er: Wenn es eine Weile auf ein altes Weib schiene, würde es
sie zu einer der Grossen, wie Rabi’a, machen …
Attar
berichtet im gleichen Epos (XV) aber auch von ihrer Armut und von ihren
Heimsuchungen:
Man
sagt, dass Rabi’a, die Heilige,
für
eine Woche nichts zu essen fand.
In
dieser Woche setzte sie sich niemals,
ihr
ganzes Werk war Fasten und Gebet.
Als
dann der Hunger ihre Füße schwächte
und
alle Glieder fast zerbrechen ließ,
kam
zu ihr eine fromme Nachbarsfrau
und
brachte eine Schüssel Speise mit.
Nun
ging sie hin in ihrem Schmerz und Kummer,
um
eine Lampe in den Raum zu holen.
Sie
kam zurück – da hatte eine Katze
die
Schüssel auf den Boden hingeworfen.
Da
ging sie wieder einen Krug zu holen,
um
mit dem Trank ihr Fasten nun zu brechen.
Diesmal
fiel ihr der Krug gleich aus der Hand –
so
blieb sie durstig; denn der Krug zerbrach.
Da
stieß ein Ach sie aus, so Herz verbrennend,
als
ob’s die ganze Welt verbrennen könnte,
und
hundertfach verwirrt rief sie: „Mein Gott,
was
willst du noch von diesem armen Weib?
Du
hast mich in Verwirrung tief gestürzt,
wie
lange noch lässt du im Blut mich wälzen?“
Da
kam die Antwort: „Wenn dir das gefällt,
schenk
Ich sofort dir diese Welt.
Den
Gram jedoch, den du so lange Zeit
getragen
hast, entfern’ ich von dir weit:
Weltliebe
ist für mich der Sehnsuchtsschmerz:
die
passen nicht zusammen in ein Herz.
Willst
liebend meinen Kummer du umfassen,
so
musst du ständig diese Welt verlassen.
Hast
du das eine, ist das andre fern.
Nicht ist umsonst der Liebesgram des Herrn.“
Aus: Schimmel,
Annemarie: Meine Seele ist eine Frau. Das Weibliche im Islam.
München: Kösel 1995, S. 31-34

Martin Buber berichtet in seinen „Ekstatischen Konfessionen“
diese Geschichte:

„Einst
wallfahrte Rabi’a nach Mekka. Als sie die Kaaba erblickte, zu deren Verehrung
sie gekommen war, sprach sie: „Ich bedarf des Herrn der Kaaba, was taugt mir
die Kaaba? Ich bin so nahe an ihn herangekommen, dass sein Wort: ‘Wer mir eine
Spanne naht, dem nahe ich eine Elle’ von mir gilt, – was soll mir noch die
Kaaba?“
Von Hassan Basri ermahnt, eine Ehe
einzugehen, sprach sie: „Mein Wesen ist längst schon ehelich gebunden. Deswegen
sage ich, dass mein Sein in mir erloschen, in ihm (Gott) aufgelebt ist. Und seit
jener Zeit lebe ich in seiner Gewalt, ja ganz bin ich er. Wer mich zur Braut
verlangt, verlange mich nicht von mir, sondern von ihm“. Hassan fragte sie, wie
sie sich zu dieser Stufe erhoben hätte. Sie sprach: „Dadurch, dass ich alles,
was ich gefunden hatte, in ihm verlor“. Als jener weiter fragte: „Auf welche
Weise hast du ihn erkannt?“ antwortete sie: „O Hassan! Du erkennst auf eine
bestimmte Art und Weise, ich aber ohne Weise“.
Sie
sprach: „Eine innere Wunde meines Herzens verzehrt mich, die durch die
Vereinigung mit meinem Freunde geheilt werden kann. Ich werde krank bleiben,
bis ich am jüngsten Tage mein Ziel erreiche“.
Aus: Ekstatische Konfessionen. Gesammelt von Martin Buber.
Darmstadt: WB (Lizenz) 1985, S. 10f
Vgl.:  Iserlohner
Con-Texte  Nr. 15 (ICT 15): Auf dem Weg
zur Achtsamkeit. 2009, S. 79–80
Islamische
Mystikerinnen in Vergangenheit und Gegenwart
(Literatur in Auswahl) 

Buchcover Albin Michel (s.u.)
mit einer indischen Miniatur:
Mongolische Schule um 1725,
Hyderabad, Salarjung-Museum.
Textband im Bild:
Mein Sehr-Geliebter, das ist Gott.
Er ist das Merkzeichen!
  • Mehr zu Rābiʿa al-‚Adawiyyaal-Qaysiyya bei wikipedia
  • AMRI, Nelly et Laroussi: Les
    femmes soufies ou la passion de Dieu.
    St-Jean-de-Braye 1992, 269 pp., glossaire, index
  • AMRI, Nelly: La Sainte de
    Tunis: Présentation de l’hagiographie de ‘Aisha al-Mannûbiyya.
    Arles (F):
    Sindbad / Actes Sud (Sindbad)
    2008, 297 pp. ill.
  • DELORME, Catherine: Le Chemin
    de Dieu.
    Paris: Albin Michel 1979, 315 pp-
  • DHINA, Amar: Femmes illustres en
    Islam.
    Alger: ENAL 1991, 138 pp..
  • Cahill, Susann (Hg.): Wise
    women. Over two thousand years of spiritual writing by women. New York/ London:
    W.W. Norton 1996, p 55-57 (Rabi’a)
  • SMITH, Margaret. Muslim Women
    Mystics. The Life and Work of Rabi’a and Other Women Mystics in Islam.
    Oxford (UK): OneWorld 2001, 2. Aufl.,
    250 S., Index
  • STÉTIÉ, Salah: Râbi’a de Feu et
    de Larmes. Spiritualités vivantes.
    Paris: Albin Michel 2015, 135 pp.
Reinhard Kirste

Relpäd/Rabia, 26.06.2016

Lizenz: CC

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