Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten
Gespräch mit Prinz Asfa-Wossen Asserate
an der Universität Bonn am 07.12.2018
„Die neue Völkerwanderung” ist global-aktuell und Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate wird im Vortrag am dies academicus einen Einblick in seine Analyse gewähren,
dass Europas Bewahrung in der Rettung Afrikas liegt.
In der anschließenden Podiumsdiskussion verbinden Prinz Dr. Asfa-Wossen Asserate, Prof. Dr. Jakob Rhyner und Prof. Dr. Klaus Ferdinand Gärditz als Spezialisten ihrer Fachgebiete die Themen Flüchtlingsbewegungen, Afrika, Landwirtschaft und Rechtswissenschaft,
moderiert von Jakob Zumbé. (aus der Programmankündigung)
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Die neue Völkerwanderung. Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten. Propyläen Verlag, Berlin 2016. 219 S. |
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Berichte von Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn
Asfa-Wossen
Asserate
sieht sein Heimatland Äthiopien als „Wachstumsstar“ Afrikas. Die Hauptstadt Addis Abeba ist heute eine moderne Riesenmetropole mit sieben Millionen Einwohnern: geschäftig, konsumorientiert, reich und teuer. Doch am Stadtrand wachsen die Armutsviertel, und tiefer im Lande herrscht weiter die Armut. Die letzte Hungersnot in Äthiopien war 2015/16.
Der Demographie Afrikas ist von rasantem Bevölkerungswachstum geprägt:
1970 lebten 25 Millionen Menschen in Äthiopien, 2018 viermal so viele5 – und wie sollen diese alle ernährt werden?
Es ist ein Alptraum, schreibt Asserate, dass sich Millionen von Afrikanern, getrieben von
Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit, auf den Weg nach Europa machen. Sein Buch „Die neue Völkerwanderung“ trägt nicht umsonst den Untertitel: „Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten !“. Während Europa bereits wegen rund einer Million Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien usw. zu zerbrechen droht, übersehen die Europäer die noch viel größere Gefahr für die Werte von Freiheit und Demokratie, nämlich den potentiellen Zustrom von Millionen Afrikanern, ein Dutzend Kilometer entfernt an der engsten Stelle des Mittelmeers. Dass Europa alle seine Küsten abriegeln könnte (wie es derzeit die europäische Grenzschutzagentur Frontex6 versucht), erscheint nicht nur extrem schwierig angesichts der Konfliktpotentiale rund um das Mittelmeer.
Asserate meint nämlich , dass auf Europa bald eine große Welle von Flüchtlingen in der Dimension einer „neuen Völkerwanderung“ zurollt. Denn die korrupten Regime vieler afrikanischer Länder, dazu von Bürger- und Religionskriegen zerrissenen, können den dort lebenden Menschen weder politische noch wirtschaftliche Aussichten auf eine lebenswerte Zukunft bieten. Also: nur eigene Anstrengungen können Afrika wirklich retten.
Problembereiche und Beispiele
1. Der Bürgerkrieg in Äthiopien (1974-1991)
Von 1974 bis 1991 dauerte der äthiopische Bürgerkrieg,
in dem Rebellen- und Befreiungsbewegungen gegen die kommunistische Zentralregierung kämpften. Als daneben in Somalia Siad Barre in einem unblutigen Staatsstreich 1969 die Macht übernommen hatte, verfolgte er langfristig das Ziel unter kommunistisch-sozialistischer Orientierung auch die in Äthiopien und Kenia von Somalis bewohnten Gebiete in ein Groß-Somalia zu vereinen. Da aber die Sowjetunion das Regime in Äthiopien unterstützte, führte das 1977 zum Bruch mit der Sowjetunion. Dieser Krieg endete am 15. März 1987 mit einer Niederlage und dem Rückzug der Somalischen Nationalen Allianz (SNA) nach Somalia. Danach entschied Siad Barre recht schnell, sich dem Westen zuzuwenden, doch seine sozialistische Diktatur bestand bis zu seiner Flucht aus Somalia am 26. Januar 1991. Clans und Milizen kämpften weiter um Machteinfluss im bis heute andauernden Somalischen Bürgerkrieg. Äthiopien hatte Ende 2006 in Somalia militärisch eingegriffen. Die offizielle Begründung lautete: die Islamisten seien auf dem Vormarsch, das eigene Land sei in Gefahr! Äthiopiens Invasion wurde von den USA unterstützt: ideologisch, finanziell und personell. Die „Union der Islamischen Gerichte“ gegen die Miliz „Al Shabaab“ entwickelte sich zu einem Krieg zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel der islamistischen Bewegung. Das sind Anzeiger für den gescheiterten Staat Somalia.
Denn mit dem Krieg
lässt sich Geld verdienen, lassen sich Gewinne machen! Der Krieg wird auf diese Weise zu einer Form der Erwerbsarbeit7. Wenn aber der Krieg gleichsam zur Erwerbsarbeit geworden ist, dann gibt es eigentlich keinen Grund, den Krieg zu beenden. Eines der wichtigsten Probleme in Afrika ist die hohe Arbeitslosigkeit. In den Flüchtlingscamps rund um die Hauptstadt Mogadischu mangelt es den 2 Millionen Vertriebenen an allem.
2. Ein Marshallplan mit Afrika ?
Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hat darum seine Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas neu ausgerichtet. Der vom BMZ initiierte Marshallplan mit Afrika hat der Zusammenarbeit mit dem Kontinent in den vergangenen Monaten bereits viele neue und wichtige Impulse gegeben. Auf seiner Basis kann nun eine Partnerschaft zwischen Afrika und Europa entstehen, die weit über eine klassische, projektbezogene Entwicklungszusammenarbeit hinausgeht.
Die Eckpunkte für diesen Marshallplan mit Afrika hatte das Ministerium Anfang des Jahres im Rahmen eines Online-Dialogs mit Wirtschaft, Wissenschaft, Kirchen, Gesellschaft und Politik zur Diskussion gestellt. Dabei entstand eine Fülle von Anregungen und Ideen für die neue Dimension der Zusammenarbeit. Ziel des BMZ ist, die eigenen Entwicklungskräfte der afrikanischen Staaten zu stärken, denn nachhaltige Entwicklung ist nur möglich, wenn sie von innen heraus angestoßen und getragen wird. Dazu müssen die Regierungen Reformen in die Wege leiten und ihrer Verantwortung gegenüber ihren Bürgerinnen und Bürgern nachkommen. Es geht darum, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass private und öffentliche Investitionen auf einen fruchtbaren Boden fallen können. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören zum Beispiel die Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit aber auch Bildung und wirtschaftliche Stabilität. Diese Ziele haben sich die afrikanischen Staaten in der Agenda 2063 der Afrikanischen Union selbst gesteckt. Es gilt nun, sie bei der Anwendung ihrer innovativen Strategien zu unterstützen. Der „Marshallplan mit Afrika“ist eine politische Initiative des BMZ 2016 mit den „Säulen“
1. Wirtschaft, Handel und
Beschäftigung;
2. Frieden, Sicherheit und Stabilität und
3.
Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
10 Thesen für einen Marshallplan für Afrika
Ergänzt werden sie durch Vorschläge für Steueranreize für Unternehmen, neue Anlageformen wie beispielsweise Afrikafonds und Infrastrukturanleihen.
Mehr zum Marshallplan mit Afrika: hier
3. Desertec – Solarstrom aus der Wüste Ein umfassendes Planungsprojekt bildet Desertec. Besonders intensiv ist in Deutschland hier die Kommunikation zwischen Algerien und Partnern in Mitteldeutschland. Bei erneuerbaren Energien geht es um mehr als „nur“ um die Erzeugung von Strom. Das Projekt verbindet globales und regionales Denken mit interkulturellem Handeln angesichts der dauerhaften Sicherung der Energieversorgung im 21. Jahrhundert nicht nur in Europa. Antoine des Saint-Exupéry (1900 – 1944) brachte diesen Zusammenhang schon auf den Punkt:
„Il est très simple: on me voit bien qu’avec le coeur.
L’essentiel est invisible pour les yeux “ „Es ist sehr einfach: Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“
Anmerkungen
1 Asfa-Wossen Asserate: Die neue Völkerwanderung. Wer Europa bewahren will, muss Afrika retten.
Propyläen Verlag, Berlin 2016. 219 S.
2 Bei Eike Haberland 1978 Universität Frankfurt am Main mit Aspekten der äthiopischen Geschichte
zum Dr. phil.promoviert.
4 Vgl. u.a. http://www.bpb.de/izpb/7926/afrika-schwerpunktthemen und Literaturhinweise u.a.
5 Als erster demografischer Übergang wird in der Bevölkerungswissenschaft der Übergang von hohen zu niedrigen Sterbe- und Geburtenziffern bezeichnet.
1. Er beginnt idealtypisch mit dem Rückgang einer hohen Sterblichkeit. Die Ursachen des Rückgangs umfassen sowohl einen höheren Lebensstandard und bessere Hygiene der Bevölkerung als auch den medizinischen Fortschritt, wobei zuerst die Säuglings- und Kindersterblichkeit zurückgeht. Da die Geburtenzahl zunächst hoch bleibt, wächst die Bevölkerung vorübergehend schnell an und ihre Altersstruktur beginnt sich zugunsten jüngerer Altersjahrgänge zu verschieben. 2. Demografischer Übergang ist die sich abzeichnende Alterung der Bevölkerung in vielen Ländern Europas zunächst noch von einem sogenannten “Babyboom“ überlagert, der mit der wirtschaftlichen Erholung während der Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs einherging. In Deutschland fiel der “Babyboom“ Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre zeitlich mit der Phase des “Wirtschaftswunders“ mit hohen Wachstumsraten und Vollbeschäftigung zusammen. 3. Diese, auch als “Goldenes Zeitalter der Heirat“ bezeichnete Periode, bildet den Auftakt für den zweiten demografischen Übergang. Dieser bezeichnet den raschen Einbruch des Fertilitätsniveaus unter das für den langfristigen Bestandserhalt der Bevölkerung erforderliche Maß von im Durchschnitt 2,1 Kindern je Frau, der seit den 1970er Jahren alle europäischen Länder in unterschiedlichem Ausmaß erfasste. Unter anderem eine sich verbessernde gesellschaftliche Stellung der Frau mit Zugang zu höherer Bildung und beruflichen Möglichkeiten. Sie hat dazu beigetragen, den Kinderwunsch zu senken und die Verfügbarkeit moderner Empfängnisverhütungsmittel ermöglicht seitdem eine effektive Kontrolle der Fertilität Vgl.: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/176227/demografischer-uebergang
6 Mittels moderner Technologien und unter Einbezug ihrer Nachbarstaaten versucht die Europäische Union, ihre Außengrenzen vor Kriminalität und illegaler Migration zu schützen. Zentraler Akteur ist dabei die Grenzschutzagentur Frontex.
http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/kurzdossiers/179671/frontex-und-das-grenzregime-der-eu
7 „Die Kräfte der Globalisierung haben beispiellosen Reichtum für diejenigen geschaffen, denen es gelang, die Vorteile des wachsenden Stromes von Waren, Dienstleistungen und Kapitalströmen über nationale Grenzen hinweg zu nutzen“ (UNDP 1998: Bericht über die menschliche Entwicklung).
Literaturhinweise
Presseschau in „Kirche und Arbeitswelt“ (Hg.: Ev. Kirche im Rheinland), 26.03.2019
„Ein Marshallplan mit Afrika?“
Redaktion:
InterReligiöse Biblitohek (IRB), 14.12.2018
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