Für mehr Wirtschaftskompetenz –
Fragwürdiges von Friedrich Merz zu Demokratie und Soziale Marktwirtschaft

Friedrich Merz: Neue Zeit. Neue Verantwortung.
Demokratie und soziale Marktwirtschaft im 21. Jahrhundert
Berlin : Econ [Ullstein] 2020,
240 S.

ISBN: 978-3430210447

Der Sauerländer Friedrich Merz bewarb sich zum dritten Mal um den CDU-Vorsitz. Das Denken und Reden dieses Mannes lässt sich aus der Geschichte der Gegend erklären, aus der er stammt: Im September 2021 gewann er das Bundestag-Direktmandat im Hochsauerlandkreis. Am 17.12.21 ist er beim ersten Mitgliederentscheid in der Parteigeschichte mit 62,1 Prozent zum neuen Parteichef der CDU gewählt worden und setzte sich damit klar gegen Röttgen und Braun durch. An der Befragung hatten sich nach CDU-Angaben zwei Drittel der rund 400.000 Mitglieder beteiligt. Merz als der Liebling der CDU-Basis soll auf dem Bundesparteitag am 21. und 22. Januar 2022 zum Parteivorsitzenden bestimmt werden
(ARD, Tagesschau, 17.12.2021)

Die Mehrheit der im Rahmen des ARD-DeutschlandTrends September 2021 befragten Personen trauten es am ehesten der CDU/CSU zu, die Aufgaben im Bereich Wirtschaft zu lösen. 34 Prozent sahen bei den Christdemokraten die größte Kompetenz. Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet nannte Merz „das wirtschafts- und finanzpolitische Gesicht der Union“. Er werde „auch nach der Wahl die Bundespolitik prägen“ … Denn Merz inszeniert sich gerne als Stimme der wirtschaftlichen Vernunft in der Union. Aber an seiner ökonomischen Kompetenz gibt es Zweifel, denn in der Breite fehlt ihm die wirtschaftspolitische Kompetenz: u.a. Wenn er höhere Zinsen will, müsste er für mehr Staatsschulden sein, da der Markt den Zins  erhöht. Denn es gibt einen Zusammenhang zwischen Zinshöhe und Fiskalpolitik.
Vgl. dazu u.a.: www.wirtschaftsrat.de

2020 erschien sein Buch Neue Zeit. Neue Verantwortung mit Aussagen zum politischen Programm von für den Parteivorsitz und  für seine mögliche Kanzlerschaft. 


Rathaus und Propsteikirche Brilon, Geburtsort von Friedrich Merz (wikipedia)

Das 1. Kapitel – Mit dem Virus leben (S. 9 ff) behandelt den Ausbruch der Corona-Pandemie „Die Corona-Krise erfasst die gesamte Realwirtschaft. Sie ist ein gleichzeitiger Angebots- und Nachfrageschock für die Weltwirtschaft, und die Maßnahmen, die zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung auf der ganzen Welt ergriffen werden müssen, führen geradewegs in die weltweite Rezession. Die Bekämpfung der Infektion löst die Wirtschaftskrise überhaupt erst richtig aus. Am Ende des Jahres 2020 wird die Weltwirtschaft gegenüber dem ersten Halbjahr 2019 um mehrere Prozentpunkte geschrumpft sein. Wir können von großem Glück sprechen, wenn es im einstelligen Prozentbereich bleibt. Wie werden Politik und Wirtschaft sich darauf einstellen? Welche Handlungsoptionen haben wir? Das werden die entscheidenden Fragen sein, die die nächsten Jahre prägen … Die Corona-Krise erfasst die gesamte Realwirtschaft. Sie ist ein gleichzeitiger Angebots- und Nachfrageschock für die Weltwirtschaft, und die Maßnahmen, die zum Gesundheitsschutz der Bevölkerung auf der ganzen Welt ergriffen“.

Im 2. Kapitel – Die soziale Marktwirtschaft ökologisch erneuern  (S. 27 ff) hätte Merz als Multi-Aufsichtsratsmitglied mehr zum Thema Nachhaltigkeit beitragen können, und zwar: Ohne wertebasierte Governance keine Entwicklung von Werten, die Professionalisierung des Aufsichtsrats im Lichte
von Reformen der CSR (Corporate Social Responsibility) ESG Nachhaltigkeit: Frage der Haltung und Überwachung des Zukunftspotenzials sowie Green Deal und EU-Taxonomie.
Details.

Denn Merz „kennt Arnsberg und Amerika, Blaubeeren und BlackRock, den Vermögensverwalter, bei dem Merz den Aufsichtsrat der deutschen Tochter anführte.“
(Vgl.: Friedrich Merz: Der Sauerländer an sich. Thomas Aussheuer,| ZEIT ONLINE 09.12.21
und Dieter Schnaas: Ein Dreikampf bis zum Schluss, Wirtschaftswoche, 29.08.2021)

Es ist festzuhalten: Die „ökologischen Großrisiken und strukturierten Verantwortungslosigkeiten an den Finanzmärkten“, die „Machtkonzentration digitaler Konzerne“ und der „Kampf um knappe Ressourcen“ sind wesentlich komplexer als hier dargestellt.

Im 3. Kapitel – Deutschland 2030 ein dynamisches und lebensfrohes Land(S.43 ff) skizziert er die Zukunftschancen: „Politik darf nicht nur in der Krise funktionieren. Sie muss auch darüber hinaus die richtigen Weichen für die Zukunft stellen. Das Thema Generationengerechtigkeit muss neu gedacht und zukunftsweisend verankert werden.  … der ihre Zukunftschancen sichert und die Grundlagen eines generationenübergreifenden Miteinanders in der Gesellschaft neu formuliert.“

Das 4. Kapitel – Europa Champions League oder Kreisklasse (S.163 ff) betrifft die Geopolitik: Amerika auf dem Rückzug (S. 170 ff), Russland und China als Global Players (S. 176).
Von 2009 bis 2019 war Merz Vorsitzender der Atlantik-Brücke.
„Merz, 65, a corporate lawyer by trade, has spent most of the intervening nearly 20 years quietly stewing while sitting on company boards and making a small fortune“
(Matthew Karnitschg, Politico, 27.11.2020). Besonders verwirrend sind für Ökonomen Merz‘ Veröffentlichungen und Äußerungen in Talkshows, die mehr  als Wahlwerbung wirken, statt dass sie Erklärungen und Vertiefung der Themen bieten (Detlef Esslinger: Der Gebrauchtsatz-Händler, SZ, 01.11.2021)

Merz hat Talent für polemische Antagonismen, im Blick auf das Anspruchsdenken der Anspruchsgesellschaft, der Gier nach dem Immermehr, nach einem arbeitsarmen Leben, nach Bequemlichkeit: „Menschen neigen in ihrer Mehrzahl zur Bequemlichkeit.“ (Vgl.)

Deshalb: „… Wir müssen zurück an die Arbeit“. Er tadelt die Gerechtigkeitsvorstellungen von John Rawls
(In: Niels Boeing: Lohnt sich der Kampf für Gerechtigkeit? ZEIT online, 07.02.2017)

Und Merz resümiert: Die EU-Kommission habe im Kampf um die Öffnung der Märkte und dem Zurückdrängen der „unternehmerischen Staatstätigkeit“ ganze Arbeit geleistet: Dieser „Sauerländer an sich“,  ZEIT ONLINE 09.12.21, 10:26. Derartige monokausale Erklärungen sind äußerst fragwürdig und auch ethisch gesehen sehr bedenklich.

Zum Autor:

Friedrich Merz, geboren 1955 in Brilon (Sauerland), Jura-Studium in Bonn und anschließend 1986 als Referent beim Bundesverband der Chemischen Industrie (VCI) in Bonn. Er arbeitete zunächst als Richter am Amtsgericht Saarbrücken, dann als Rechtsanwalt. 1989 wurde er für die CDU ins Europäische Parlament gewählt, dem er bis 1994 angehörte. Seit 1994 ist er Mitglied des Bundestages. Er war u.a. Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Nachdem Angela Merkel nach der Bundestagswahl 2002 den Fraktionsvorsitz für sich selbst beanspruchte, wurde Merz zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden gewählt. Im Dezember 2004 trat er von diesem Amt zurück. Heute ist Merz wieder als Rechtsanwalt und Aufsichtsrat verschiedener Unternehmen tätig.
Fatal ist sein eigener Trugschluss wie derjenige der CDU, dass seine Tätigkeit in Aufsichtsräten ihm wirtschaftliche Kompetenz als Finanzexperte verleihe. Denn genau wie sein Vater studierte Friedrich Merz nach dem Abitur Jura – zunächst in Bonn und später in Marburg.

Der bodenständige Jurist und studierte Rechtsanwalt hat seinen Wohnort immer noch dort, wo er geboren ist: im Sauerland. In seiner politischen Auszeit bis 2014 arbeitete er als Rechtsanwalt in der internationalen Kanzlei Mayer Brown LLP. Er gehörte  folgenden Aufsichtsräten, Beiräten und Verwaltungsräten an: DBV-Winterthur Holding AG, Commerzbank AG (bis Ende 2009), IVG Immobilien AG (bis 20. Mai 2010- Insolvenz 2013/14 ), AXA Konzern AG (bis 30. Juni 2014). BASF Antwerpen N. V. (bis 30. Juni 2014). Borussia Dortmund Geschäftsführungs-GmbH (bis 30. Juni 2014). Deutsche Börse AG (bis 13. Mai 2015) und Stadler Rail AG (bis 30. April 2020). Die Ämterhäufung ergänzte er noch 2016 bis 2020  als Aufsichtsratsvorsitzender/Lobbyist für 
BlackRock in Deutschland  [Vgl.].
Und dann war er auch noch von 2017 bis Ende 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der Flughafen Köln/Bonn GmbH. 

Dass er etliche Aufsichtsratsposten niederlegte, ist faktisch seine einzige  Chance politisch zu überleben. Dennoch: Aktiv ist er seit 2009 Aufsichtsratsvorsitzender der WEPA Industrieholding SE.
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen beauftragte Merz im Jahr 2017, die Brexit-Auswirkungen für NRW zu koordinieren. Dazu ist er seit 2019 Vizepräsident des parteiunabhängigen Berufs- und Lobbyverbands Wirtschaftsrat der CDU.  Daher zählen ihn Ökonomen und Finanzberater in Deutschlands Oberschicht. Laut Deutscher Bundesbank zähle man ab einem (gesamt) Nettovermögen von mindestens 722.000 Euro zu den oberen 5 Prozent der deutschen Bevölkerung,dh. zur Oberschicht.

Friedrich Merz besitzt u.a. Immobilien in Arnsberg und in Gmund am Tegernsee sowie zwei Flugzeuge, eine Diamond DA62, die er selber fliegt, und eine Socata TBM-910, die er über sein Unternehmen Volatus GmbH & Co. KG an die WEPA Industrieholding SE vermietet. Sein Vermögen wird auf 12 Millionen Euro geschätzt. Noch problematischer für sein Profil ist die fehlende sozialpolitische Kompetenz.
Vgl.  die Wirtschaftliche und soziale Sorgen der „Generation Mitte“. Den bisherigen Chef der Mittelstandsunion, Carsten Linnemann, will er zum Chef der Programm- und Grundsatzkommission machen und die neuen Leitsätze bis 2024 abschließen.

Bücher von Friedrich Merz:

Prof. Dr. Eckhard Freyer, Bonn