mehrerer Titel
1. Le Bouleversement
du Monde
Die Welt im Umbruch
EAN 13: 9782259320887
ISBN 978-2-259-32088-7
Bilan et perspectives
du 7 Octobre.
Paris: Plon 202, 216 pp.
- ISBN-10 : 2259319629 — ISBN-13 : 978-2259319621
Details bei fnac >>>
Inhaltsverzeichnis & Leseprobe >>>
Rezension: Prof. Dr. Peter Antes (Yggdrasill, 7.11.2024)
Der bekannte französische Islamwissenschaftler und
Bestsellerautor Kepel hat mit diesem Buch eine Art Verlaufsprotokoll der
Ereignisse seit dem Hamas Massaker auf Israel vom 7. Oktober 2023 bis zum
Februar 2024 vorgelegt, das ohne Parallele auf dem deutschen Buchmarkt ist.
Er startet im Prolog (S. 9f) mit Begriffsdefinitionen:
Holocaust, ursprünglich ein religiöses Opfer, bei dem das Opfer völlig
verbrannt wird, steht heute häufig generell für „Vernichtung“, weshalb es auch
im Plural vorkommt wie im Titel seines Buches zur Kennzeichnung von
Vernichtungen sowohl israelischer Juden als auch muslimischer Palästinenser;
Shoah ist hebräisch und unterstreicht als Terminus für „Vernichtung“ im Unterschied
zu dem erwähnten modernen Verständnis von Holocaust die Einmaligkeit der Vernichtung
der Juden durch die Nazis; Genozid bezeichnet dagegen von vornherein universal jede Art von Völkermord.
Der Hauptteil des Buches besteht aus vier Kapiteln, die jeweils die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven betrachten:
Das erste Kapitel behandelt die Ereignisse aus Sicht der Muslime. Das als „Aksa Flut“ bezeichnete Massaker der Hamas wird dabei verbunden mit der Vernichtung der Ungläubigen durch Gottes Sintflut zur Zeit Noahs und eingereiht in die Geschichte der Vertreibung der
Palästinenser (Nakba) bei der Errichtung des Staates Israel 1948 sowie die
Kriege zwischen den Arabern und Israel und nicht zuletzt die verzweifelten
Proteste der Intifada gegen die Besatzungsmacht Israel bis hin zu terroristischen Angriffen
im Namen des Islam gegen Ziele und Menschen im Westen (in Europa und den USA,
einschließlich des 11. September 2001). In einer berühmten Rede weitet der
inzwischen durch die Israelis getötete schiitische Generalsekretär der
libanesischen Hizbollah Scheich Hassan Nasrallah am 3. November 2023 den
Konflikt räumlich aus, indem er alle Araber zur Mitwirkung aufruft „vom Golf bis zum Ozean“ und auch die Muslime in Europa in diese von Gott gesegnete, den
Sieg ankündigende Razzia einbeziehen will. Bekanntlich gelingt dadurch der
Schulterschluss mit den Huthis im Yemen und der religiösen Führung in Teheran.
Das zweite Kapitel beschreibt die Reaktionen in Israel auf das Massaker vom 7. Oktober.
Wie die Djihadisten im Islam bestimmte Passagen der heiligen Texte wortwörtlich nehmen und daraus ihre konkrete Politik ableiten, verfahren die Zeloten des gegenwärtigen Judentums und
diktieren Netanyahu, wie er gegen Hamas und die Bevölkerung im Gazastreifen
vorgehen soll. (vgl. S. 91f). Ihre Aktionen führen zu einer irreparablen Verwüstung des Landes und zu einer beispiellosen Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung, die
sich äußerst kontraproduktiv für die Unterstützung auswirken, die Israel gerade braucht.
Das dritte Kapitel hat als Überschrift: Geopolitik eines Massakers.
Es zeigt zwischen S. 108 und 109 wertvolle farbige Karten aus dem Krisengebiet wie der Region und beschreibt die Auswirkungen des Hamas Massakers und der Reaktonen Israels auf die Politik der Türkei, Qatars sowie Moskaus und Pekings und damit die geopolitischen Veränderungen von der „Dritten Welt“ zum „Globalen Süden“.
Das vierte Kapitel ist dem „Aufschrei gegen den Westen“ (Haro contre l’Occident) gewidmet. Typisch für diese Anklage ist der Antrag Südafrikas auf Verurteilung Israels wegen Völkermordes beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag,
der dort am 11. und 12. Januar 2024 verhandelt wurde. Dabei ging es vor allem um Aussagen der Minister Itamar Ben-Gvir, Bezalel Smotrich oder Yoav Gallant, die die Existenz
eines palästinensischen Volkes geleugnet und damit die Zwangsvertreibung der
Einwohner wie „menschliche Tiere“ von Gaza gerechtfertigt haben.
Am 26. Januar 2024 verkündete der Internationale Gerichtshof – wie im Epilog beschrieben –
sein Urteil: Die Geschehnisse lassen völkermordähnliche Züge erkennen, weshalb
Israel alles tun soll, um einen Völkermord zu verhindern. Dieses Urteil wurde
von den Vertretern der BRICS-Staaten (BRICS ist ein Akronym aus den
Anfangsbuchstaben für Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, wozu seit
2024 noch Iran, Ägypten, Äthiopien und die Vereinigten Arabischen Emirate gehören)
sowie der EU begrüßt, nur Israel und die USA haben es
kritisiert. Wenn es den USA und dem Westen nicht gelingt, einen palästinensischen Staat
zu schaffen, wird der „globale Süden“, allen voran die BRICS-Staaten unter
der antiliberalen und antiwestlichen Führung Moskaus und Pekings, davon profitieren.
Der Epilog beschreibt die verschiedenen Versuche zur Beilegung des
israelisch-palästinensischen Krieges und deren Scheitern. Dabei
hat Europa sein tatsächlich vorhandenes Potenzial nicht ausreichend genutzt,
denn Europa stellt ein außergewöhnliches Laboratorium für Verschmelzung
(fusion), über alle ethnischen und religiösen Zugehörigkeiten hinaus, dar.
„Sein Dilemma besteht im kulturellen Kampf zwischen denen, die sich auf die
demokratischen Werte des alten Kontinents berufen möchten, und
denen, die separatistische Enklaven zum Sturz des Rechtsstaates bilden
wollen.“ (S. 191). Hier wäre ein deutlich hörbareres Bekenntnis zu den westlichen
demokratischen Werten nach Kepel seit langem wünschenswert.
„Die Glaubwürdigkeit des westlichen demokratischen Modells, das auf dem Rechtsstaat
beruht, ist in einem Moment, in dem dieser von antiliberalen Regimen des ‚Globalen Südens‘
verunglimpft wird, nicht von geringer Nachwirkung als Folge vom 7. Oktober. Als
Auftakt zu Harmagedon, nach dem die Kriegsparteien im Heiligen Land streben.“ (S. 199)
Gilles Kepel : „Le Hamas a atteint une victoire encore plus grande que le 11 Septembre“ (L’Express, 19.03.2024)
Collection: Esprits du monde –>>> Leseprobe: hier
Verlags-
information mit deutscher Übertragung
Ce livre replace les événements en contexte, depuis la guerre d’octobre 1973 (du «Kippour» ou du «Ramadan»), suivie de l’explosion des prix du pétrole et de la prolifération du jihad, à travers ses trois grandes phases depuis l’Afghanistan et Al-Qaïda. Puis il propose le premier récit complet rétrospectif des six principaux soulèvements arabes, de la Tunisie à la Syrie.
Il expose enfin lignes de faille et pressions migratoires en Méditerranée et au Moyen-Orient, et éclaire les choix décisifs qu’auront à faire Emmanuel Macron, Donald Trump ou Vladimir Poutine, ainsi que les peuples et les dirigeants de cette région – mais aussi les citoyens de l’Europe.
Nourri de quatre décennies d’expérience, de séjours sur le terrain, avec des cartes inédites, Sortir du chaos est de la plume de Passion arabe et offre la précision de Terreur dans l’Hexagone – les deux grands succès récents de l’auteur.
Deutsche Übertragung
Der Schrecken des „Kalifats“ des sog. Islamischen Staats im Nahen Osten zwischen 2014 und 2017 und sein globaler Terrorismus waren eine paradoxe Konsequenz des „Arabischen Frühlings“ von 2011. Denn der „Arabische Frühling“ war enthusiastisch mit universaldemokratischen Parolen als „Revolution 2.0“ gefeiert worden.
Wie hat sich dieses Chaos installiert, und kann man nach der militärischen Niederlage des „Islamischen Staates“ auf gutem Wege da herauskommen?
Dieses Buch stellt die Ereignisse in einen größeren Kontext. Es bezieht sich auf den Krieg im Oktober 1973 („Yom Kippur“- oder „Ramadan“-Krieg). Dann folgte die Explosion der Ölpreise und die Verbreitung des gewaltsamen Dschihad durch seine drei großen Phasen seit dem Afghanistan- und Al- Qaida-Konflikt. Weiterhin nimmt der Autor den ersten vollständigen Rückblick auf die sechs großen arabischen Erhebungen von Tunesien bis Syrien vor.
Schließlich werden die Bruchlinien und der Migrationsdruck im Mittelmeerraum und im Nahen Osten aufgedeckt. Daran schließt Kepel entscheidende Weichenstellungen an: von Emmanuel Macron, Donald Trump und Wladimir Putin sowie den Völkern und Führern dieser Region – aber auch durch die Bürger Europas.
Getragen von vier Jahrzehnten der Erfahrung und zahlreichen Aufenthalten in dieser Region bietet Kepel zusammen mit unveröffentlichten Karten in „Sortir du Chaos“ eine präzise Situationsanalyse. Sie knüpft an die großen Erfolge seiner letzten beiden Bücher an: Passion arabe (2016 – arabische Leidensgeschichte und Terreur dans l’Hexagone (2015 – Terror in Frankreich) – die beiden jüngsten großen Erfolge des Autors.
4. Weitere Veröffentlichungen
von Gilles Kepel
- Weitere Titel von Gilles Kepel bei Gallimard: hier
- Gilles Kepel: Biografie und Werke (wikipedia.fr)
- Gilles Kepel: Biographie & Bibliographie (fnac)
- Mehr zu Gilles Kepel >>> mit Bibliografie (Januar 2018)
5. Besonderer Blick auf das Buch:
La Revanche de Dieu.
Chrétiens, juifs et musulmans à la reconquête du monde
Paris: Seuil 1991, 288 pp.
„Die Rache Gottes“ (1991) – Rezension
(Hakan Songur, taz , 23.04.1993)
— Rezension der englischen Ausgabe:
The Revenge of God (1994)
Reinhard Kirste,
JIS Vol,. IX, No. 1-2, p. 188-190)
6. La Fracture
[Der Bruch].
Hors Série: Connaissance.
Paris: Gallimard / France Culture 2016, 288 pp.
- Gespräch zum Buch
- mit Gilles Kepel
(Gallimard, Nov. 2016) - Vgl. Benahm T. Said: Geschichte al-Qaidas.
München: C.H. Beck 2018. Rezension: hier - Interview mit Gilles Kepel, 23.10.2018 — «Au Levant, nous sommes dans un moment comparable à l’Europe en 1918 ou 1945» —Im Nahen Osten haben wir im Augenblick eine Situation – vergleichbar der in Europa von 1918 oder 1945 — Herodote.net, 23.1.2018
7. Ähnliche Diskussionen bei diesen Autoren
- Jean Birnbaum: La religion des faibles.
Ce que le djihadisme dit de nous.
Paris: Seuil 2018, 283 pp.
— Verlagsinfo und weitere (Video-)Kommentare: hier - Scott Atran: L’État Islamique est une Révolution.Paris: Éditions Les Liens qui Libèrent 2016 — Kommentar zum Buch: Islamischer Staat und Kalifatsidee
- Benahm T. Said: Geschichte al-Qaidas.
München: C.H. Beck 2018. Rezension: hier