Ibn al-Farid: Reisewege der Seele (aktualisiert)


Ibn al-Farid: Der Diwan. 
Mystische Poesie aus dem 13.
Jahrhundert.

Aus dem Arabischen übersetzt

und herausgegeben von Renate Jacobi. 


Berlin: Verlag der Weltreligionen im Insel-Verlag (Suhrkamp)
Berlin 2012, 407 S., mehrere
Register


ISBN 978-3-458-70037-1 —

Kurzrezension: hier

Ausführliche Beschreibung

Der
Diwan des Ibn al-Farid
lenkt den Blick auf einen der herausragenden Vertreter
des späteren Sufismus und der arabischen Poesie. Er hieß mit vollem Namen: Ibn
al-Farid, ‘Umar ibn ‘Ali Abu’l-Qasim al-Misri al-Sa’di. Er wurde 1181 in Kairo
geboren und starb auch dort im Jahre 1235. Er wurde wegen seiner herausragenden
Persönlichkeit und verinnerlichten Sprache geradezu als Heiliger verehrt. Er
lässt sich in seiner gelebten Spiritualität und sprachlichen Ausdruckskraft durchaus
mit Meister Eckhart, Johannes vom Kreuz und Angelus Silesius vergleichen. Ibn
al-Farid entstammte einer Gelehrtenfamilie aus Hama in Syrien, wanderte jedoch
nach Ägypten aus. Schon früh kam er mit dem Sufismus in Berührung und übte sich
in asketischen Praktiken und intensiven Anbetungsübungen. 
15 Jahre blieb er
nach dem Tod des Vaters in Mekka, ehe er nach Kairo zurückkehrte. Später machte
er sich mit seinen beiden Söhnen noch einmal auf die Pilgerreise nach Mekka, wo
sie sich Sufi-Gruppen anschlossen. Sie sollen dort
Shihab
al-Din Umar as-Suhrawardi
(1145-1234), d.h. dem Neffen des Ordensgründers der
Suhrawardiyya,
begegnet sein.

Während seiner letzten Jahre in Kairo hatte Ibn
al-Farid großen Einfluss auf das spirituelle Leben Kairos. Er wohnte nicht nur
in der Nähe der Al-Azhar Universität, sondern seine Wohnung entwickelte sich auch
zu einem mystischen Zentrum mit Koran-Rezitationen, theologischen Gesprächen
und intensiven mystischen Gebeten, den dhikrs. 

Es sei daran erinnert, dass der
ayyubidische Sultan
al-Malik al-Kamil
(um 1180–1238) angesichts des Kreuzzugs von
Kaiser
Friedrich II.
(1194–1250) mit diesem in intensiven Verhandlungen stand. Und
allein durch diplomatisches Geschick beider erhielt Friedrich II. 1229 das
Königreich Jerusalem – mit ausdrücklicher Bestätigung durch den
Ayyubiden-Sultan.

Der Diwan des al-Farid beginnt mit den Kassiden“.
Der Dichter bezieht sich dabei auf die arabisch-poetische Tradition der
Beduinenpoesie mit ihrer Symbolik. Eine Kasside beschreibt lyrisch und
variantenreich immer wieder den Schmerz der Trennung von der Geliebten und den
Freunden.
„Denn wenn die Liebe treu ist, scheint der Aufschub schön. Ich schwöre
bei der Heiligkeit des Bundes, den ich niemals löste. Und bei dem Band, das
unsere Hände bindet un
d
unlöslich ist: Im Zorn der Trennung und im Frieden der
gestillten Sehnsucht bist du in meinem Herzen, es ist niemals frei von dir.“
(S. 64)

Geradezu unvermittelt wird die räumliche Trennung
zu einer Seelenreise, in der ebenfalls Liebe und Leiden dicht beieinander
liegen. Die Texte verweisen schnell über das menschliche Empfinden hinaus in göttliche
Dimensionen. Liebessehnsucht und Trennungsschmerz machen die Begrenztheit
menschlichen Lebens offenbar, die es zu überwinden gilt.
Im folgenden
Weinlied bricht die Symbolik von
Wein und Weinstock so durch, dass die Trunkenheit durch den wahren Wein den
Begrenzungen durch die Zeit keine Macht mehr gibt. Man kann ahnen, dass
angesichts solch kühner Verse engstirnige Fromme „Ketzerei“ riefen. Dies musste
sich noch bei der Betrachtung seiner spirituellen Reisebeschreibung
„Die Ordnung des Weges“ verstärken,
denn auf dem Weg zur Vereinigung mit dem Göttlichen, wo Ich und Gott
verschmelzen, wird das wahre Selbst lichtvoll erfasst. Erfahrungen der Gottesliebe
brechen in den (Schöpfungs-)Manifestationen des Kosmos durch, in Bildern von Gefährdung
und von Gnade. Dies geschieht in einer sprachlichen Ästhetik, der es gelingt,
sich dem Geheimnis der Überwindung von Dualität anzunähern.
Die organisierten
Religionsformen spielen dabei kaum noch eine Rolle.
Als ich den Spalt geschlossen hatte und die
Risse in der Einheit, entstanden durch die Eigenschaften, sich zusammenfügten, als
nichts mehr blieb, was zwischen mir und der Gewissheit vertrauter Liebe zur
Entfremdung führen konnte, erkannte ich, dass wir in Wahrheit beide eins sind, vorbei
die Trennung, wie die Nüchternheit der Einheit es beweist“
(S. 114).

Ich frage
mich bei den Stufen der „Weg-Ordnung“ sogar, ob sich nicht trotz der
unterschiedlichen Sprachstile bei dem Poeten al-Farid und dem bereits 1191 in
Aleppo hingerichteten iranischen Mystiker-Philosophen
Shahab ad-Din Yahya al-Suhrawardi (1153-1193)
eine innere Nähe auftut. Der Poet redet von Stufen eines seelischen Reiseweges,
der Philosoph spricht von der Seelenwanderung ins reine Licht (vgl. die
Rezension zu dessen „Philosophie der Erleuchtung“: 
http://buchvorstellungen.blogspot.de/2013/01/v-behaviorurldefaultvmlo.html).
Wie dem auch
sei, der ausführliche Kommentar zum
Buch ist eine Hinführung zu dem großen Mystiker, was sein Leben, Denken und
Wirken betrifft: „Prägungen“ durch intuitive Erkenntnis (S. 155ff). Durch die
Erläuterungen lässt sich al-Farids Weg zur Einheit, der „unio mystica, über die
verschiedenen Stufen leichter nachvollziehen. Zum Verständnis der Textdetails
gibt es dann noch einen Verskommentar.
Auch wenn
der Rezensent die Übersetzung nicht unter sprachwissenschaftlichen
Gesichtspunkten beurteilen kann, so gelingt doch im lesenden Nachvollzug der
vorgelegten Übersetzung ein Eintauchen
in die mystische Tiefe des Ibn al-Farid.
Man kann der
Islamwissenschaftlerin Renate Jacobi darum nur dankbar sein, dass sie sich
nicht nur der Mühe einer offensichtlich sehr sorgfältigen Übersetzung
unterzogen hat, sondern dem Mystiker Ibn al-Farid sowohl in seiner
Weiterbearbeitung arabischer Poetik-Traditionen methodisch wie inhaltlich
nachgegangen ist. Den Lesenden eröffnet sich mit der bildreichen Sprache eine
Welt, die aus dem Alltäglichen heraus in die Tiefe wahren Seins führt. Die innere
Nähe zu christlichen MystikerInnen macht Ibn al-Farid zugleich zu einem
Brückenbauer zwischen Orient und Okzident, und zwar in glaubwürdiger
Authentizität über Religionsgrenzen hinweg. Ich wünschte mir, dass Ibn al-Farid
mit seiner interreligiösen Perspektive stärker im christlich-islamischen
Gespräch wirksam wird.
Reinhard Kirste

Rz-Ibn al-Farid,
zuerst veröffentlicht: 17.01.13
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