Indonesien – Chancen und Gefährdungen religiöser Vielfalt (aktualisiert)

Franz Magnis-Suseno SJ: Christlicher Glaube
und Islam in Indonesien.
Erfahrungen und Reflexionen zu Mission und Dialog
Hg.: Renate Hausner / Ulrich Winkler
Salzburger
Theologische Studien 53 – interkulturell
15) Innsbruck-Wien: Tyrolia 2017, 252 Seiten, 26,- Euro.
— ISBN 978-3-7022-3418-8 —

Interreligiöse Biblliothek (IRB):
Buch des Monats Oktober 2017

Das
Dialog-Verständnis des Jesuitenordens hat in den letzten Jahrzehnten sicherlich
dazu beigetragen, dass interreligiöse Begegnungen an Wirksamkeit und Kompetenz gewonnen
haben. Ein besonders schönes Beispiel ist der Philosophieprofessor
Franz Magnis-Suseno (geb. 1936 in Schlesien),
der seit 1961 in Indonesien lebt. Seine Inkulturation in den südasiatischen
Inselstaat Indonesien hat er durch seine Staatsangehörigkeit mit diesem
überwiegend muslimisch geprägten Land auch nach außen dokumentiert. Als Mitglied
der Indonesischen Akademie der Wissenschaften gehört er zu den herausragenden
Intellektuellen des Landes. Er wurde 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz
ausgezeichnet und ist Ehrendoktor der Universität Luzern (2002).
Neben seiner Auseinandersetzung mit Karl Marx (Dissertation
Freiburg 1975) befassen sich  auch seine Publikationen
mit Kulturen und Religionen Indonesiens, z.B.: 
  • Javanische Weisheit und Ethik. Studien
    zu einer östlichen Moral. 
    Berlin: De Gruyter Oldenbourg 1981     
  • Neue Schwingen für Garuda. Indonesien
    zwischen Tradition und Moderne 
    (Hg. Walter Kerber).
    München: Kindt 1989  
Franz Magnis Suseno SJ
Wenn ein solch intimer Kenner und Freund Indonesiens die Beziehungen  von Christentum und Islam beschreibt,darf man gespannt sein. Dies gilt umso mehr, als in den letzten Jahren auch in
diesem weltoffenen Land 
ein fundamentalistischer, gewaltbereiter Islam an Bedeutung gewinnt.
Im vorliegenden Buch hat der Autor 16 Aufsätze aus den letzten 25
Jahren in drei Schwerpunkte gruppiert:
1.  Überwiegend Informationen zum vielfältigen
Islam 
     und dem Christentum als Minderheit in Indonesien
2.  (Katholisches) Christentum in
islamischen Kontexten
3.  Javanische und
balinesische (ideologisch geprägte) Wirklichkeitserfahrungen
     als Basis für moralisches Handeln
(„Gutsein“) und Demokratie.
Natürlich
gibt es hier eine Reihe von Überschneidungen, die aber die Lesbarkeit nicht
beeinträchtigen, vielmehr immer wieder auf die „Brennpunkte“ der religiösen und
politischen Entwicklung verweisen.
So stellt sich geradezu brennend
die Frage, wohin der Islam Indonesiens wohl in Zukunft steuern wird. Der Sturz des
Diktators Suhartos 1998 und sein Tod im Januar 2008 ermöglichten diesem Land
mit über 260 Millionen überwiegend muslimischen Einwohnern eine verstärkte
Demokratisierung (S. 216–219). Die Schattenseite dieser Entwicklung ist der sich
verstärkt bemerkbar machende fundamentalistische Islam.
„Dieser extreme Islam
ist heute zu einer echten Bedrohung für Indonesien, sowohl für die
Religionsfreiheit als auch für den mehr pluralistischen Islam im Land selbst
geworden“ (S. 37). Wichtig ist darum festzuhalten, wie vielfältig der
indonesische Islam (immer noch) ist. Das hat generell mit dem Harmonieverständnis
und dem Toleranzdenken der Javaner zu tun (S. 108ff).
Insgesamt
macht sich die Vertrautheit Magnis-Susenos mit den Mentalitäten,
Denkvoraussetzungen und Wirklichkeitsverständnissen besonders auf Java und Bali
angenehm bemerkbar.
Auf einige Gesichtspunkte besonders hingewiesen:
Im I. Kapitel wird die Vielfältigkeit indonesischen Islams
deutlich: Der mehr als Kultur verstandene
Santri-Islam
und die reform-islamische Organisation der Muhammadiyya sowie die islamischen Intellektuellen haben die
Dialogoffenheit des Islam wesentlich mitgeprägt (S. 23ff). Dagegen stehen traditionelle
Gruppierungen und die (neuen) Fundamentalisten, die solche Tendenzen als mit
der „reinen Lehre“ unvereinbar ansehen. Und die extremistischen Gruppen nutzen die
stärkere Demokratisierung des Landes zur Propagierung ihrer Islamisierungsziele.
Dennoch bleibt immer noch die Hoffnung, dass die moderaten Islamrichtungen
dominierend bleiben (S. 41). Die weitere Entwicklung des Landes ist gerade
deshalb  für die Christen als Minderheit
von entscheidender Bedeutung. Es sei daran erinnert, dass bisher auch das
Pancasila-Prinzip als Grundlage des Vielvölkerstaates
nicht ernsthaft in Frage gestellt worden ist
. Angesichts
der Kolonialismuserfahrungen mit den Niederlanden, der postkolonialen
Entwicklung generell und des brutalen. „Integralismus“ Suhartos bleiben die
Spuren der Gewalt mit tausenden von Opfern eine Wunde in der Entwicklung des
Landes. Bei allem wirkt sich jedoch die religiöse Balance dank der
Staatsdoktrin Pancasila einigermaßen stabil aus.
Denn sie
schafft einen erstaunlichen Freiraum für alle:
1.     Es gilt das Prinzip
der All-Einen Göttlichen Herrschaft  für alle religiösen Traditionen,
einschließlich Buddhismus und Humanismus.
2.     Der Humanismus  ist zugleich als Internationalismus zu
verstehen.
3.     Die nationale Einheit
bleibt vorrangig.
4.     Die Demokratie bildet
die politisch-gesellschaftliche Basis des Landes 
5.     Soziale Gerechtigkeit
gilt für alle ethnischen, rassischen und religiösen Gruppierungen.
In diesem Zusammenhang war lange Jahre ein vertrauensvolles
Dialogverhältnis der Minderheitsgruppen gegenüber dem Mehrheitsislam die
Selbstverständlichkeit. Trotz aller negativen Veränderungen der letzten Jahre
bleibt Magnis-Suseno gedämpft optimistisch (S. 58). Ein „Krieg der Kulturen“
wird darum vermutlich in Indonesien vorläufig nicht ausbrechen, insbesondere
wenn es gelingt, die Jihadisten doch noch in den gesamtgesellschaftlichen
Diskurs einzubinden.
Das II. Kapitel beschäftigt sich unter
verschiedenen Aspekten mit dem
Christentum
in einem islamischen Kontext
.
 
Das Verständnis von Mission und die
Korrelation von Mission und interreligiösem Dialog gehörten und gehören auch
auf christlicher Seite durchaus zu den heiklen Punkten. Auf eine
religionspluralistische Position will sich der Autor allerdings auf der Basis
von
Nostra Aetate aus dem Vaticanum II nicht einlassen. Er grenzt
sich darum von John Hick und Paul Knitter mehrfach vorsichtig ab (s.u.a. S.
108f).


Das unbestreitbare Dilemma von Mission und umgeht der Autor nun mit einer
Definition von Mission als engagiertem Glaubenszeugnis ohne jegliche Gewalt und
im tiefen Respekt sowie in Demut angesichts der Glaubensüberzeugung der Anderen
(vgl. bes. S. 129–144 und 145–156). Dass der Katholizismus durchaus für die
Javaner eine gewisse Attraktion hat, beschreibt der Verfasser unter dem
Stichwort einer mystisch geprägten „javanischen Gottessehnsucht“ (S. 91ff). Bei
allen Irritationen, die etwa auch die Regensburger Rede von Papst Benedikt XVI.
(2006) auslöste, haben doch die besonnenen muslimischen Theologen dem interreligiösen
Dialog weiterhin die Priorität gegeben (S. 101–105). Angesichts der
gesellschaftlichen Herausforderungen bedeutet das für das Christsein, verstärkt
auf die Befreiungstheologie zu setzen (übrigens ähnlich wie Aloysius Pieris in
Sri Lanka): Sie „ist zu einer neuen Kraft des Guten geworden, die Religionen
hilft, sich aus den ritualistischen Verengungen zu befreien“ (S. 156)
.
In
gewisser Weise werden die bisherigen Überlegungen im
III. Kapitel an den philosophischen
Grundlagen und doppelbödigen javanischen Wirklichkeitserfahrungen
gespiegelt,
die der Autor unter den Originalbegriffen
Cipta,
Rasa
und Karsa beschreibt. Es handelt sich um Basis-Orientierungen für ein moralisch „richtiges“ Verhalten.
Dieses zeigt sich in Indonesien weitgehend in einer Art von Harmonie, die sich
schwertut,  schnell moralische
Verurteilungen auszusprechen (S. 159). Der Mensch findet jedoch nur zu sich
selbst, wenn er zu Gott zurückfindet (S. 162f). Dadurch entwickelt er (inneres)
Wachstum und Reife (S. 167). Hält man nun Kants ethische Vorstellungen und
besonders seine Ausführungen zu einer republikanischen Gesellschaft dagegen,
dann zeigt sich in Indonesien ein anderes Machtverständnis. Der Herrscher ist
der „Nagel der Welt“, an dem alles Weitere hängt (S. 169–171). Gemeinsam aber
ist beiden Positionen der Weg zum absoluten „Gutsein“ (S. 192). Gewaltausschreitungen
und das Attentat auf Bali (2002) haben dieses „Konzept“ allerdings auf schlimme
Weise konterkariert.
Die Folgen
der mehrfach im Buch angesprochenen Entwicklung nach dem Sturz Suhartos führten
zur verstärkten Forderung nach der Einführung der „Scharia“ im Sinne einer gerechten
von Gott gegebenen Ordnung. Wird ein Diskurs der „Moderaten“ mit den Fundamentalisten
überhaupt möglich sein, wenn die Frage nach der Wahrheit einer Religion absolut
gestellt wird? Wie überhaupt bekommt man die extreme Pluralität und die sich
teilweise ausschließenden Gesellschaftskonzepte zusammen?
Magnis-Suseno weiß hier natürlich keine Antwort, signalisiert aber
eine Tendenz, die unter dem Leitmotiv der Gerechtigkeit sowie Betonung der
Menschenrechte (für alle !) Verständigungswege eröffnen kann. In der Zivilgesellschaft
muss darum eine politische Ethik leitend sein, die Demokratie,
Nichtdiskriminierung und Religionsfreiheit zu ihren Grundpfeilern macht. Das
ist keine westliche Besonderheit, sondern gilt global.
Bilanz: Von
großem Vorteil ist, dass durch die Vertrautheit Magnis-Susenos mit den
Mentalitäten, Denkvoraussetzungen und Wirklichkeitsverständnissen besonders auf
Java und Bali Innensichten dieses Inselstaates transparent werden. Hinzu kommt,
dass die Analysen, die der Verfasser vornimmt, auch für anders strukturierte Gesellschaften
wichtige Anregungen geben, denn in einer globalisierten Welt hängen religiöse
und gesellschaftliche Veränderungen unmittelbar zusammen. Die weitere
Entwicklung in Indonesien ist darum mehr als ein südasiatisches Problem,
sondern bedeutet eine generelle Herausforderung. Insofern ist es wichtig, sich
mit diesem Land genauer zu befassen. Magnis-Suseno hat dazu wichtige Anstöße formuliert.
Vgl. auch den Beitrag von  Magnis-Suseno für das Jesuitenmagazin
„Weltweit“ :
https://www.jesuitenmission.de/medien/magazin.html
geschrieben hat (
Download als PDF: hier).
Ergänzende
Literaturauswahl als Hintergrundinformation 

Weiteres zu Indonesien in der Länderauswahl >>>

Baruf Hayat: Managing Religious Pluralilty.
Translator: Atik Susilo. Ed.: Zainuddin Daulay.
Jakarta: Center for Inter-Religions Harmony.
Ministry of Religious Affairs
Republic of Indonesia
2012,  244 pp.

Orality, Collective Memory, and Christian-Muslim Engagements in Indonesia. Reihe: Global Religion — Religion global, Band: 3. Paderborn: Schöningh (Brill) 2023, XXX, 201 S., Index

E-Book (PDF) – 

ISBN: 
978-3-657-79020-3 — 

Festeinband – 

ISBN: 
978-3-506-79020-0

·  Missio Aachen (Hg.): Länderberichte – Religionsfreiheit Indonesien (2013, 26 S.)
https://www.missio-hilft.de/media/thema/religionsfreiheit/laenderberichte/18-indonesien~1.pdf
·     
Alfian:
Muhammadiyah. The Political Behavior of a Muslim Modernist Organization
Under
Dutch Colonialism.
Yogyakarta: Gadjah Mada University Press 1989, 396 pp.
·     
Yusuf
Asry (ed.): Community Build Harmony. Conflict Resolution and
 Peace Building in
Ethnoreligious Indonesia.
Jakarta: Ministry of Religious Affairs / Center for Research and Development of
Religious Life
2013, XLIX, 211 pp.
·     
Center
for Inter-Religious Harmony /  Ministry of Religious Affairs (ed.) /
Author: Bahrul Hayat: Managing Religious Plurality.. Jakarta 2012, X,244 pp.,
indices
·     
Edith Franke: Einheit in der Vielfalt..
Strukturen, Bedingungen und
Alltag religiöser Pluralität in Indonesien.
Studies in Oriental Religions 62.Wiesbaden:
Harrassowitz 2012, XIV, 256 S., Abb.
·     
Clifford Geertz: Religiöse Entwicklungen im Islam.
 Beobachtet in
Marokko und Indonesien.
Übersetzt von Brigitte Luchesi. Mit einem Essay von
Bassam Tibi.
 stw 972. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1991, 206 S., Index 
·     
Werner Kraus (Hg.): Islamische mystische Bruderschaften
im
heutigen Indonesien 
 Mitteilungen des Instituts für Asienkunde, Nr. 183.

Hamburg 1990, 205 S., Index
·     
Volker
Küster: Zwischen Pancasila und Fundamentalismus:
Christliche Kunst in
Indonesien
 Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2015 – ISBN 978-3374041787
·     
Ministry
of Religious Affairs, Republic of Indonesia (ed.):
Compilation of Rules and
Regulations
 on Religious Harmony. English Edition.
Jakarta: Center for Research
and Development of Religious Life
2011, XVIII, 314 pp., Appendix
·     
Niels
Mulder: Mysticism in Java. Ideology in Indonesia.
 Amsterdam/Singapore: Pepin Press
1998, 168 pp., indices, glossary
·     
Tahi Bonar Simutpang: Gelebte Theologie in Indonesien.
Theologie
der Ökumene 24. Göttingen: V & R 1992, 171 S.
·     
Georg
Stauth: Politics and Cultures of Islamization in Southeast Asia.
Indonesia and
Malaysia in the Nineteen-nineties. Bielefeld: Transcript 2002, 300 S.
·     
Ingrid
Wessel / Georgia Wimhöfer (eds.): Violence in Indonesia.
Hamburg: Abera 2001,
343 pp., Glossary


Reinhard Kirste 

Rz-Mangnis-Suseno-Indonesien,
01.10.17 u.ö.
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