Interkulturelle Theologie im Horizont von Transformationen und Fundamentalismen

Handbuch Interkulturelle Theologie
Umbrüche – Zugänge – Horizonte
Hg.: 

  • Franz Gmainer-Pranzl
  • Judith Gruber
  • Andreas Heuser
  • Klaus Hock
  • Claudia Jahnel
  • Anja Middelbeck-Varwick

  • Living Edition

    • Berlin / Heidelberg: Metzler 2024

      eBook ISBN 
      978-3-662-66324-0
    Verlagsinformation (Springer Link) >>>


    Die Interkulturelle Theologie setzt sich mit den Wechselwirkungen zwischen Religion(en), Kultur und Gesellschaft auseinander. Im interdisziplinären Dialog vor allem mit Kultur- und Sozialwissenschaften, Religionswissenschaften, Globalisierungs- und Entwicklungstheorie versteht sich die Disziplin als genuin theologischer Diskurs. Ihr Ursprung liegt in der hegemonialen Missionstheologie der europäischen Kolonialzeitalter und den Ausdifferenzierungen der christlichen Theologie während des Kontakts mit fremden Kulturen. Das Handbuch kartiert den aktuellen Stand der Interkulturellen Theologie und wirft einen Blick auf Zukunftsthemen.


    Thomas Schreijäck / Knut Wenzel (Hg.): Kontextualität und
    Universalität.
    Die Vielfalt der Glaubenskontexte und der Universalitätsanspruch
    des Evangeliums.
    25 Jahre „Theologie interkulturell“.

    Stuttgart: Kohlhammer 2012, 176 S

    ISBN 978-3-17-022293-9
    Seit 25 Jahren gibt es an der Goethe-Universität
    Frankfurt das Projekt „Theologie interkulturell“. Jeweils im Wintersemester
    wird ein/e deutschsprachige Gastprofessor/in aus Afrika, Asien oder
    Lateinamerika an die Katholisch-Theologische Fakultät eingeladen, um
    Gesichtspunkte aus der weltweiten (katholischen) Kirche in einem umfassend
    interreligiös und interkulturell gewordenen Zusammenhang herauszuarbeiten. Thomas
    Schreijäck, der Pastoraltheologie, Religionspädagogik und Kerygmatik lehrt, ist
    erster Vorsitzender von “Theologie interkulturell“ und der
    Fundamentaltheologe und Dogmatiker Knut Wenzel stellvertretender Vorsitzender.
    Die beiden nehmen diesen Zeitraum der 25 Jahre, um Bilanz zu ziehen:

     „Theologie interkulturell möchte bewusst
    machen und vermitteln, dass religiöser Glaube, theologisches Denken und
    solidarisches Handeln aus einer religiösen Grundüberzeugung heraus nicht auf
    ein Christentum westlich-europäischen Zuschnitts begrenzt sind. Die Kirche
    macht es sich so zur Aufgabe, über den eigenen eng begrenzten Rahmen des
    religiösen, kulturellen, gesellschaftlichen oder nationalen Eigeninteresses
    hinauszugehen“ (S. 9).


    Man kann die
    Welt umfassende katholische Kirche heute mit fast einer Milliarde Mitgliedern nun
    gewissermaßen als einen Spiegel nehmen, in dem sich die religiöse und
    gesellschaftliche Vielfalt der Moderne auf unterschiedliche Weise bricht. Dabei
    ist auffällig, welch innovative Ideen und Projekte an anderen Orten gerade dort
    umgesetzt werden, wo das Christentum nicht die Mehrheit bildet oder
    dramatischen Veränderungen unterworfen ist. In diesem Zusammenhang wurde und
    wird es spannend, wie kompetente Vertreter aus den jeweiligen Kulturkreisen die
    Spannung von Kontextualität und Universalität zur Sprache bringen und der
    Kirche Mut machen, sich gerade in der Begegnung mit anderen Religionen und
    Kulturen immer wieder zu erneuern. „Theologie interkulturell“ bietet für diesen
    Austausch eine ausgesprochen hilfreiche Plattform. Dies zeigt sich auch in der
    geschickten Auswahl der jeweiligen Vertreter, allesamt Katholiken mit einem
    weltoffenen Profil.
    In der
    vorliegenden Zusammenstellung kommt als erster Josef Estermann zu Wort, Missionswissenschaftler aus Bolivien: Er
    betont die wichtigen Anstöße der Befreiungstheologie gerade in der Aufwertung
    indigener Kulturen. Er hebt dabei die allumfassende, universale und Mensch
    gewordene göttliche Gerechtigkeit als Kennzeichen des Reiches Gottes hervor.
    Das Wort „Chakana“ = Brücke in der Quechua- und Aymara-Sprache nimmt die
    Menschwerdung Jesu im andinen Kontext auf und verbindet es mit der
    Universalität des globalen Waltens Gottes.
    Im
    Horizont des islamisch geprägten Indonesien bezieht sich der Sozialphilosoph Franz Magnis-Suseno SJ aus Jakarta auf
    den Universalitätsanspruch des christlichen Glaubens. Angesichts dieser
    islamischen Herausforderung in einem Land mit ca. 220 Mio Einwohnern und einer
    verschwindend kleinen christlichen Minderheit kann dies nur in konsequenter
    Auslegung der dialogischen Aussagen des Vaticanums II geschehen, das heißt:
    Mission ist demütiges und friedfertiges Zeugnis-Geben, ohne dass der geringste
    Zwang ausgeübt wird. Gott möge dann alles Weitere tun. Dies ist im Grunde eine
    konsequent inkusivistische Linie, die immerhin viele Dialogmöglichkeiten mit
    den muslimischen Partnern ermöglicht.
    Etwas
    weiter wagt sich
    Francis X. D’Sa SJ,
    hinaus, Spezialist für indische Religion und Theologie der Religionen aus Pune
    (Indien). Er bringt es auf den Punkt: „Der Evangeliums
    wahrheit kommt der Universalitätsanspruch zu, aber nicht der
    Wahrheit des Evangeliums
    ausdrucks
    (S. 45). Das bedeutet, das
    eine
    Geheimnis in der Vielfalt der Glaubenskontexte zu entdecken und auf
    unterschiedliche Weise davon sprechen. Die Vielfalt der Glaubenskontexte lebt
    von unterschiedlichen Selbstverständnissen und der grundlegenden
    Verschiedenheit von Kulturen. Es geht nicht darum, wer z.B. im karmischen oder
    anthropischen Geschichtsverständnis recht hat

    (S. 53), sondern es gilt, in jeder Glaubenswelt sich von der Universalität der
    göttlichen Wahrheit in Anspruch nehmen zu lassen.

    Noch
    weiter geht der Dogmatiker Luis Gutheinz
    SJ
    aus Taipeh (Taiwan). Er setzt sich konsequent für einen interreligiösen
    Dialog ein, der die dringenden Probleme der Welt von heute aufnimmt. Es geht
    nicht um die Ausbreitung des eigenen christlichen Glaubens, sondern um die
    Bekräftigung einer letzten Realität bzw. Wahrheit, die sich in verschiedenen
    Glaubenskonzepten ausdrückt und diese als authentische Wege zum „höchsten Gut“
    ansieht (S. 68). Dies schließt im Dialog weder das Zeugnis noch die
    Verkündigung des eigenen Glaubens aus.
    Afrikanische
    Gesichtspunkte bringt der Fundamentaltheologe Simon Matondo-Tuzizila aus dem Kongo ein. Dieses riesige Land
    Zentralafrikas hat trotz der kolonialistischen Gewalt eine Art „Christliche
    Kultur“ unter Einbeziehung der Ahnenüberlieferung entwickelt (S. 72). Das
    bedeutete aber zugleich die Aufnahme des „fremden“ Jesus im Sinne von Bedrohung
    und Chance. Die Chance konzentriert sich auf die Beseitigung der Hexerei, durch
    die anderes Leben systematisch zerstört wird. Jesus als „König der Könige“ und
    die konsequente Vergottung Jesu bildet so einen heilsamen Gegenpol. Jesus als
    das Wort Gottes inkulturiert sich dabei im Sinne befreiender Lebenspraxis gegen
    die Heilsanmaßungen von Hexerei und Fetischismus.
    Der
    Religionspädagoge Alphonse Ndabiseruye
    aus Burundi zieht das Begriffspaar „Evangelisierung“ und „Inkulturation“ heran,
    um Jesus Christus nicht als Objekt, sondern als Ur-Inkulturation im Sinne der
    Menschwerdung zu beschreiben, die auch christologisch und jeweils muttersprachlich
    in den afrikanischen Kontext eingebunden werden muss. Dieses Inkulturieren
    konkretisiert sich als Befreiungsbotschaft in die politischen und
    gesellschaftlichen Bedingungen hinein.
    Der
    Bonner Fundamentaltheologe und Religionsphilosoph Hans Waldenfels bietet gewissermaßen einen systematischen
    Verstehensrahmen für die jeweiligen „Länderprofile“ unter den unterschiedlichen
    Ansätzen und Weiterentwicklungen von Inkulturation. Das Ende der
    Kolonialherrschaft und das langsame Zurückdrängen eurozentrischen Gedankengutes
    ermöglicht für die bisher oft marginalisierten indigenen Kulturen eine
    wesentliche Aufwertung. Die Kirche im Sinne von Weltkirche erlebt die
    Verschiebung ihres Lebenszentrum in den Raum zwischen Asien, Australien und der
    Westküste der USA. Besonders herausfordernd wirkt sich der postkoloniale Aufschwung
    des Islam weltweit aus, der durch eine bedeutende „Westwanderung“ geprägt ist.
    Das Christentum in Europa gerät angesichts dieser Entwicklungen vom ehemaligen religiösen
    Zentrum an den Rand. Der Säkularismus sowie der damit teilweise parallel
    laufende religiöse Pluralismus/Relativismus in den europäischen Gesellschaften
    tun ein Übriges. Wird Religion jedoch als Offenheit für Transzendenz
    verstanden, werden die Christen 
    angesichts der religiösen Suchbewegungen glaubhafte Wegbegleiter der unterschiedlich
    Suchenden werden.
    Der
    Frankfurter Fundamentaltheologe Siegfried
    Wiedenhofer
    setzt sich mit der Spannung von Partikularität und
    Universalität der Kulturen und Religionen in der Moderne auseinander. Er führt
    damit im Grunde die Überlegungen von Hans Waldenfels systematisierend fort. Die
    Moderne hat die Relativierung religiöser Absolutheitsansprüche beschleunigt.
    Dem setzt er ein „transzendentalphilosophisches Modell“ (Richard Schefflers)
    entgegen, das Offenbarung als Begegnung mit dem Geheimnis Gottes auch außerhalb
    des christlichen Glaubens möglich macht. Dies ist der Ermöglichungsgrund des
    interreligiösen Dialogs, wie sich z.B. beeindruckend an Henri Le Saux zeigen
    lässt.
    Den
    Abschluss bildet der Beitrag von Werner
    G. Jearond
    , Systematiker an der Universität Glasgow, der das bisher noch
    nicht intensiv angesprochene Feld von „Interkulturalität“ und „Interreligiosität“
    genauer untersucht und eine Hermeneutik der Liebe als dialogische
    Verständigungsbasis vorschlägt. Die bisherigen Ansätze von Hans Küng mit dem
    Weltethos, mit John Hick und der religionspluralistischen Theologie sowie die
    an Attraktivität zunehmende Komparative Theologie erfahren dabei eine kritische
    Würdigung. Aber die Theorien scheinen hinter der interreligiösen Praxis in
    unserer Gesellschaft längst hinterher zu hinken. Darum nimmt Jearond Hans Georg
    Gadamer, Paul Ricoeur, Erzbischof Rowan Williams und Catherine Cornille auf und
    argumentiert, „dass es die Aufgabe einer kritischen interdisziplinären
    Hermeneutik der Liebe ist, die allen Menschen gemeinsame Kommunikations- und
    Liebesgabe als den Horizont zu ergründen, in dem religiöse Traditionen
    betrachtet, verstanden, erforscht, gedeutet und transformiert werden können“
    (S. 171).
    Die
    katholische Kirche als Weltkirche erlebt außerhalb des europäischen Kulturraums
    erhebliche Aufschwünge. Sie ist angesichts der religiösen Veränderungen aber
    auch besonders herausgefordert. Die im Buch versammelten Beiträger nehmen diese
    Herausforderung im Geist des 2. Vatikanischen Konzils auf und wagen dialogische
    Schritte im Blick auf die gemeinsame Weltverantwortung aller Religionen –
    manchmal eher vorsichtig, zuweilen jedoch auch mutig und bisherige Grenzen
    überschreitend. Sie setzen sich so auf Zukunft hin orientiert mit
    kulturell-religiösen Umbrüchen auseinander und diskutieren Ansätze der
    notwendigen Begegnung der Religionen in Respekt und Demut. Das alles gilt natürlich
    in vergleichbarer Weise auch für die durch die Reformation entstandenen Kirchen
    und ebenfalls im weltweiten Kontext. Insofern hat dieses Buch durchaus
    „protestantischen“ Charakter.
    Reinhard Kirste

    Rz-Schreijäck-Kontext,
    12.04.12 u.ö.
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