Ausführliche Besprechung
Der Islam
ist ein Dauerthema in Deutschland. Oft werden jedoch Halbwissen und Vorurteile
zu einer polemischen Brisanz gemischt, der argumentativ schwer beizukommen ist.
Die beiden Autorinnen bemühen sich seit Jahren kompetent, dem ein unverstelltes,
ehrliches Bild vom Islam entgegenzusetzen. Lamya Kaddor hat als Islamlehrerin
in der Schule und Islamwissenschaftlerin Grundlegendes geleistet. Rabeya
Müller, islamische Theologin und Religionspädagogin, hat ein umfassendes
religionspädagogisches Islam-Konzept entworfen, das sie auch in vielen
Ausbildungs- und Fortbildungskursen weiter verbreitet. Beide gehören zu den Gründerinnen
des Liberal-islamischen Bundes1.
Bereits 2008 brachten sie eine Auswahl von Korantexten für Kinder und Erwachsene
heraus.2 Das nun
vorgelegte Buch ist gewissermaßen Fortsetzung und grundlegende Verstärkung
dessen, was in der Koran-Übertragung nur auf die wesentlichen Texte bezogen
war.
thematische Zusammenstellung des Buches geht vom Glauben aus, und zwar im Blick
auf das Gottesverständnis – erläutert
an den 99 schönen Namen Gottes (Kap. 1: Viele Namen, ein Gott). Dem folgt die
Vorstellung der Glaubenskonkretionen und
Rituale (Kap. 2: Fünf Säulen, ein Glaube). Dann kommt die Moschee als Gebäude, in ihrer Funktion
mit ihrem „Personal“ in den Blick (Kap. 3). Besonders erhellend ist der
Abschnitt über die Koranschulen, über die in der Öffentlichkeit und gerade in
den Medien viele Missverständnisse kursieren.
gilt vom Koran als Wort Gottes (Kap.
4). Auch hier wird Grundsätzliches mit praktischer Orientierung verbunden (z.
B. Speisegesetze). Das Reizwort Scharia
(Kap. 5) erfährt mit den entsprechend aufgearbeiteten historischen
Hintergründen wie den Rechtsschulen eine sinnstiftende Orientierung im Sinne
gelebter Rechtmäßigkeit, deren Basis der Koran ist. Der Stellung des Gesandten/Propheten Mohammed als
Überbringer abschließender Offenbarung wird sowohl biografisch wie entwicklungsgeschichtlich
nachgegangen und die Unterschiede etwa zwischen Sunniten und Schiiten
einbezogen (Kap. 6). Dass die beiden Autorinnen die Gender-Problematik, Sexualität und Ehe im Islam in all ihren Schwierigkeiten
sehen und die aktuelle Problematik unprätentiös angehen (Kap. 7), macht das
Buch besonders sympathisch. Das gilt gerade für Begriffe wie Homosexualität,
Zwangsheirat, Ehrenmord und Kopftuch.
scheinbar ruhigere Bahnen führt das Kap. 8 über Tradition und Kunst. Hier wird zum einen die kulturelle Offenheit
des Islam im Prinzip herausgehoben, aber auch auf volkstümliche Vorstellungen
(wie der „böse Blick“) eingegangen. Schließlich wird das Bilderverbot und
Karikaturenstreit präzise thematisiert.
der Beziehungen zwischen den
verschiedenen Mitmenschen und die Stellung der Religion in der Gesellschaft
sprechen die Autorinnen zum einen die Vernunftbezogenheit islamischen Denkens
an, die Absage an jegliche Missionsbemühungen und den vom Koran gebotenen
Respekt vor den Andersgläubigen (Kap. 9). Sie betonen damit die im Wort „Islam“
steckende Verbindung im Sinne von „Frieden“. Im Kap. 10 über Islam und Politik werden die
Grundmuster islamischer Verantwortung herausgestellt.
Sie wehren sich gegen den „Heiligen Krieg“ und den Märtyrer-Terrorismus und
zeigen die Notwendigkeit moralischer Anstrengung (dschihad) als religiöse
Pflicht. Dem Monopol beanspruchenden Fundamentalismus wird dabei keine Chance
gegeben. So gehört innerislamische Kritik zum Grundmuster diskursiven Denkens
beider Autorinnen (so auch in Kap. 11), ebenso wie die Ablehnung, Islam und
Terrorismus immer wieder gleichzusetzen.
11. Kapitel steht die islamische
Vielfalt in Deutschland im Mittelpunkt. Sie bedarf auch der kritischen
Begleitung. Verdeckte oder gar offen zur Schau getragener Islamfeindlichkeit
ist jedoch kontraproduktiv. Die Autorinnen machen deutlich, dass es „den“ Islam
nicht gibt, was auch ein Blick in die weltweite islamische „umma“ zeigt. Imgrunde
hätte der Anhang auch als eigenes Kapitel gezählt werden können, weil er „anschaulich“
den Umgang mit Bildern thematisiert.
Das betrifft sowohl das islamische Bilderverbot wir die von Bildern geprägten
Medien und den Stellenwert islamischer Medien in Deutschland überhaupt.
Autorinnen sind sich im Klaren, dass sie nicht den Islam repräsentieren, sondern ihre Sicht auf ihre Religion
darstellen. Sie belegen dies mit der aktualisierenden Interpretation vieler
Koranzitate. So scheint ein Verständnis des Islam auf, der nicht die großen
Schlagzeilen bringt, aber dafür dem interkulturellen Verständnis dient. Hinzu
kommt, dass das Buch in einer leicht zugänglichen Sprache geschrieben ist.
Allerdings dürfte es vom Duktus und Stil her weniger für Kinder als vielmehr
für Jugendliche und natürlich Erwachsene geeignet sein. Als Sachbuch hält es
zum einen wissenschaftlichen Kriterien stand und zum andern ist es eine
Lektüre, die nicht langweilt. Dazu verhelfen auch die Illustrationen, die dem
Buch bei aller inhaltlichen Gewichtigkeit einen leichten „Touch“ vermitteln
(sollen).
Bei den Tabellen und Schaubildern ergibt sich durch die Art der
Zeichnungen und durch die Schreibschrift eine gewisse Unübersichtlichkeit (vgl.
S. 16-17, 19. 21, 27, 30f, 78-79, 146f, besser z.B. S. 85). Dies sind jedoch
eher optische Unschärfen, die die Gesamtintention letztlich nicht
beeinträchtigen.
Wenn das Wort nicht negativ besetzt wäre, könnte man das Buch als gelungenes
populärwissenschaftliches Werk betrachten. Sowohl Muslimen, aber auch Christen,
überhaupt allen einigermaßen religiös Interessierten kann es darum ein guter
Wegweiser sein.
Rz-Kaddor-Müller-Islam,
14.09.12
Bund vgl. die Selbstdarstellung: http://www.lib-ev.de/
Erwachsene“:
http://www.rpi-virtuell.net/workspace/CFF7AB46-2FDA-475C-A6C7-3F92D3174C51/Rezensionen/Rz-Koran-Kaddor-M%C3%BCller.pdf