Sadr ad-Din Schirazi [Mulla Sadra]:
Das Buch vom Thron Gottes
bekannt als Mulla Sadra
— ISBN 978-3-946179-16-0 —
Übersetzung aus dem Arabischen, Einleitung und Herausgeber: Prof. Roland Pietsch,
Religionswissenschaftler
(Ukrainische Freie Universität München)
Bericht von Susanne Lettenbauer:
Freies Denken ermöglichen
(Deutschlandfunk, 17.02.2015)
résumé français >>>
resumen en español >>>
Mullā Ṣadrā (1571/72-1640), iranischer Theologe der
Zwölfer Schia und Sufi-Philosoph, Zeitgenosse von René Descartes (1596-1650), gehört zu den wichtigsten Reformdenkern
in der islamischen Welt. Er wurde 1571/72 n.Chr. im iranischen Shiraz geboren. Auch die berühmten Dichter Saadi (um 1210 – um 1292), und Hafis (um 1315 – um 1390) stammen von dort. Mulla Sadra erhielt in Qazvin und Isfahan eine klassische Ausbildung in Philosophie und (schiitischer) Theologie, verbunden mit Schwerpunkten koranischer Hermeneutik. Das bedeutete, dass die Philosophien des Avicenna (Ibn Sina, ca. 980 – 1037) und Averroes (Ibn Rushd, 1126-1198),
Al-Ghazali (1058-1111) sowie Suhrawardi (1153-1191) mit der Illuminationisten-Schule zu den wesentlichen Orientierungsmarken gehörten.
- Vgl.: Islamische, jüdische und christliche Philosophie im Mittelalter >>>
- Mehr zu Avicenna, Averroes, al-Ghazali und weiteren islamischen Reformdenkern >>>
In der Geistesmetropole Isfahan schloss Mulla Sadra nicht nur seine Studien ab, sondern erforschte auch die heterodoxen Traditionen des Islam. Das brachte ihm die Verurteilung und Bannung von Vertretern der offiziellen schiitisch-dogmatischen Theologie ein.
So zog er sich in die Nähe von Qom zurück, wo er Forschungen zur Erkenntnistheorie betrieb und auch die mystischen Traditionen sowie das Fortwirken des Neuplatonismus in der islamischen Theologie untersuchte. 1612 wurde er allerdings aus seiner „Klausur“ herausgerufen. Der Provinzgouverneur der Region Fars mit der Hauptstadt Shiraz, Allāhwirdī Ḵhān, bat ihn, eine neu zu gründende theologisch-philosophische Schule zu leiten. Das führte den Wissenschaftler zu weiteren Bearbeitungen islamischer Denkschulen. Mulla Sadra starb 1640 im südirakischen Basra unmittelbar im Anschluss an eine Pilgerfahrt nach Mekka (Hajj).
Das Werk dieses islamischen Denkers umfasst mehr als 45 Veröffentlichungen.
Als sein Hauptwerk gilt Asfar al-Arba‘a (= Die vier spirituellen Reisen). Hier verarbeitet er sein Konzept von Essentialismus und Existentialismus in Verbindung mit der (göttlichen) Kosmologie.
- Mehr zum Leben und Werk von Mulla Sadra (wikipedia.en)
- Mulla Sadra in der Stanford Encyclopedia of Philosophy
- Zailan Moris: Revelation, Intellectual Intuition and Reason in the Philosophy of Mulla Sadra. An Analysis of the al-hikmah al-‚arshiyyah.
San Francisco: Taylor & Morris 2003,240 pp. - vgl. auch: Christian Jambet — Mort et résurrection en Islam. L’au-delà de Mullâ Sâdra
Paris. Albin Michel 2008, 307 pp. — Rezension >>> - Christian Jambet: The Act of Being. The Philosophy of Revelation in Mulla Sadra.
University of Notre Dame (USA) >>>Zone Books 2006
— Review by David Burrell, C.S.C.
Hier wirkt das Erbe der griechischen Philosophie nach.
westliche Denker sind angesichts dieser Frage nach den grundlegenden
Wissensquellen für den Menschen andere Wege gegangen. Im Mittelalter spielte
allerdings, besonders bei den neuplatonisch und mystisch geprägten Philosophen
und Theologen die Vernunft und die Illumination sowie die intuitive
Sinneserfahrung auf der Suche nach wahrhafter Erkenntnis noch eine wichtige
Rolle.
Auch Heinrich
Seuse (1295-1366) und Meister
Eckhart (1260-1327/28) sprechen von der Vervollkommnung der
menschlichen Seele, damit göttliches Licht diese in einen verbesserten Zustand
erhebt und erhellt. Nur so werden dann in der spirituellen Schau Annäherungen
an den Allerhöchsten/die allerhöchste Wesenheit möglich. Diese Tendenz änderte
sich allerdings in der Renaissance zugunsten eines fast ausschließlichen Bezugs
auf die Vernunft und Sinneserfahrung.
Vgl. dazu – James Winston Morris: The wisdom of the throne. An introduction to the philosophy of Mulla Sadra. Princeton University Press 1981, XIV, 276 pp., index ——- Einführung und vollständige englische Übersetzung – Download >>>
Insgesamt liegt hier die Systematisierung von Mulla Sadras Philosophie vor, die vom Illuminationskonzept mitgeprägt ist. Sie bezieht sich auf die drei Erkenntnisweisen und auf die Bestätigung des Wahrheitsanspruchs von Offenbarung, intellektueller Intuition (Gnosis) und vernünftigem Diskurs. Wie in al-Mazahir (die göttlichen Manifestationen) beschreibt Mulla Sadra in Arshiyyah existential und transzendental-philosophisch seine Metaphysik im Blick auf die Wirklichkeit und die Wesenheit des Seins im Horizont von Anfang und Ende und noch jenseits davon. So kommen hier das Sein Gottes und das Sein seiner Geschöpfe, die Beziehung von Seele und Körper, die verschiedenen Ebenen der Seele, der noch nicht gelüftete Schleier der Wahrheit, der Tag der Auferstehung sowie die Eigenschaften von Himmel und Hölle zur Sprache.
Baustein der irdischen Realität ist das Dasein, das Seiende, während das Sein, überhaupt jede Form von Wesenheit nicht in der Immanenz zu finden sind.
Mulla Sadras Methode zum Umgang mit den genannten drei Erkenntnisquellen Offenbarung, Intuition und Vernunft ermöglicht eine neue Verstehens-Annäherung an die irdische Wirklichkeit und an die Transzendenz. Denn man kann keinen Zugriff auf die Wirklichkeit des Seins haben. Nur sprachliche Versuche und (symbolische) Deutungen sind möglich. Dahinter steht ein Verständnis von Wahrheit, das sich bewusst begrenzt, nämlich dass sich Wahrheit auf irdisch Seiendes bezieht. Aber darüber hinaus öffnet sich im Horizont intellektueller Intuition eine Wahrheitsebene, die das Wesentliche ahnen lässt.
Im vorliegenden Buch gibt Roland Pietsch zuerst eine Orientierung zum Verständnis der Metaphysik von Mulla Sadra in Bezug auf den Vorrang der Wirklichkeit des Seins (mit seinen Abstufungen) und den Unterschieden zwischen Sein und Seiendem.
Der Text gliedert sich in zwei Orte der Erleuchtung und in drei Erleuchtungsstadien:
- Erster Ort der Erleuchtung: Ableitungen von den Grundlagen des Seins zu den Quellen der Erleuchtung in Korrelation zur Entstehung der Welt und dem Zusammenhang von Seele und Körper.
- Zweiter Ort der Erleuchtung:
= Erste Erleuchtung: Erkenntnis der wahren Natur der Sinnesempfindungen (Intuition) und die Substanzialität der irdischen Welt im Zusammenhang mit der Seele und dem Geist des Menschen im Hinblick auf die Transzendenz.
= Zweite Erleuchtung: Abstreifen des Erkenntnisschleiers in Hinsicht auf die Auferstehung, die wahre Natur der anderen Seelenwelt, des körperlichen Daseins in dieser und jener Welt und Wieder-Auferstehung.
= Dritte Erleuchtung: Erkenntnis, dass der Tod gerecht ist, dass es eine große und kleine Auferstehung gibt, dass die Wahrheit de Pfad zum ewigen Leben ist, dass aber am Tag der Aufestehung Prüfungen stattfinden, die zum Paradies oder in die Hölle führen.
Und als orientierende Empfehlung gibt er weiter: „Du musst dein Herz … in geistiger Zurückgezogenheit der inneren Vereinigung mit der Wahrheit hingeben … Dann [werden] die Schleier (von deinem Herzen) aufgehoben werden, [wenn] du in der Gegenwart des Herren der Herrn sein wirst, wie du es schon in deinem innersten Herzen bist“ (S. 170f).
Resümee: Wahrheit und Wirkungsweisen der göttlichen Weisheit
In Mulla Sadras Grundlagentext al-Hikmat al-‚arshiyyah (Thron der göttlichen Weisheit) geht es um Offenbarung, intuitive Erkenntnis (Gnosis) und diskursiv argumentierende Vernunft, deren Wahrheitsansprüche zu bestimmen sind. Der „Religionsphilosoph“ will diese unterschiedlichen Faktoren im Sinne einer Synthese zusammenbringen. Mulla Sadra sieht hier die Möglichkeit sprachlicher Annäherungen, so dass die drei Wissensquellen Offenbarung, intellektuelle Intuition und diskursive Argumentation tatsächlich eine Synthese bilden.
Die weitere Überprüfung an den „Orten der Erleuchtung“ im Horizont von Sein und Seiendem zeigt die Ebenen der Seele als Schlüsselelemente für ein weiterführendes Verständnis. Mulla Sadra sieht darin auch eine Übereinstimmung mit den klassischen islamischen Lehren.
deutschen Übersetzung dieses Textes können interessierte Leser nun die große
Bedeutung der antiken griechischen Philosophie und ihre verschiedenen
Entwicklungen in der östlichen und westlichen Religions- und Philosophiegeschichte
besser verstehen.