Perry Schmidt-Leukel: Das Wort vom Geheimnis der Welt
Biblische Texte interreligiös gelesen
Hg.: Achim Riggert / Mathias Schneider
Gütersloher Verlagshaus 2025, 192 S., Bildteil, 4 S., Schriftenregister
— ISBN 978-3-579-08301-8 —
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Übersicht
1. Hinführung — 2. Ein Gang durch die Texte — 3. Resümee
1. Hinführung
Der renommierte Münsteraner Religionswissenschaftler Perry Schmidt-Leukel versteht sich immer auch als Theologe. Sein systemtheoretisches Konzept einer interreligiösen Theologie im Gefolge von John Hick hat ihn international bekannt gemacht, auch deshalb, weil er exklusive und inklusive Glaubensverständnisse – nicht nur des Christentums – konsequent in Frage stellt und eine eigenständige Theologie der Religionen entwickelt hat, für die ihm die fraktale Theorie religiöser Vielfalt als Brücke dient (besonders in: „Wahrheit in Vielfalt. Vom religiösen Pluralismus zur interreligiösen Theologie“, 2019 und in: „Das himmlische Geflecht, Buddhismus und Christentum – ein anderer Vergleich“, 2022)..
Allerdings ist die religionspluralistisch-theologische Diskussion im deutschsprachigen Bereich eher in wissenschaftlichen Diskursen hängen geblieben und kaum kirchlich integriert worden, sieht man von den religionspädagogischen Wirkungen einmal ab. Darum ist es ein wichtiger Schritt, dass Perry Schmidt-Leukel versucht, sein theologisches Verständnis praxisorientiert und gemeindenah umzusetzen, wie das in der protestantischen Predigttradition seit Luther, über Schleiermacher und Karl Barth immer wieder geschehen ist.
Der vorliegende Band, wurde von zwei Mitarbeitern Schmidt-Leukels herausgegeben,
Achim Riggert >>>, ev. Pfarrer und Vorsitzender der Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A) und Mathias Schneider >>>, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für Religion und Moderne der Universität Münster.
Es handelt sich um eine biblisch-interreligiöse Beispielsammlung – fast durchgängig aus Universitätspredigten und Meditationen, die zeigen, wie sich die Bibel heute interreligiös, aber zugleich intellektuell redlich lesen und bedenken lässt und damit neue, ungeahnte spirituelle Zugänge eröffnet. Dies geschieht gerade dann, wenn man anfängt, ausgefahrene Gleise der Bibellektüre zu verlassen. Der Titel lässt bereits ahnen, dass diese Zugänge einer größeren Wirklichkeit im Sinne eines „himmlischen Geflechts“ aufscheinen, wenn dazu die Weisheit anderer Religionen bewusst und kompetent einbezogen wird.
Schmidt-Leukel macht dabei deutlich, dass es ihm bei allen Verstehenszugängen um die Bibel als jüdisch-christlichen Basistext des eigenen Glaubens geht. Die vorliegenden Texte sind darum weitgehend homiletische und meditative Umsetzungen seiner christlichen Theologie der Religionen im Spiegel der asiatischen Religionen und des Islam. Auf diese Zusammenhänge verweist er ausdrücklich im Nachwort.
2. Ein Gang durch die Texte: Anstöße und Entdeckungen
Nach einer orientierenden Einführung haben die Herausgeber die ausgewählten Predigten und Meditationen in drei Abschnitte aufgeteilt.
Der Teil 1: Verborgene Nähe wird durch folgende Bibelauslegungen erhellt:
▶︎ 2. Kor 4,6-10 wird gewissermaßen hinduistisch, buddhistisch und islamisch unterlegt :Unter dem Gewand bedeutet so, dassunter dem Irdischen das Himmlische aufleuchtet. Deshalb plädiert der Prediger für die Innenperspektive. Sie „vermag uns scheinbar mehr sehen zu lassen als nur die >tönerne<, >irdische< Gestalt der Religion … Allein die Innenperspektive zeigt uns diese Gestalt als ein Gefäß, in dem sich etwas anderes, Göttliches, verbirgt“ (23). Aber sowohl das äußere Gefäß wie der innere Schatz sind von Gott. „Nicht nur der Mensch, die Welt als Ganze ist das irdene Gefäß des göttlichen Schatzes“ (S. 26).
▶︎ 1. Kor 2,1-10 als Thema der (göttlichen) Weisheit: „Wer liebt, ist oft der Schwächere und zieht nicht selten den Kürzeren. Und wer so liebt wie Jesus, den kann dies leicht das Leben kosten. Genau dieser Irrsinn, so Paulus, ist Gottes Weisheit …“(S. 33). Die göttliche Torheit als Kraft der Schwachen ist deshalb von anderer Qualität, weil im Gegensatz zu menschlichen Weisheiten die grundlose Barmherzigkeit Gottes bedingunslos ist, wie sich an Jesus, dem Irdischen und Auferstandenen gleichermaßen zeigen lässt.
▶︎ Lukas 1,67-79 ist der erste weihnachtliche Rede dieser Sammlung. Unter der Dialektik von Licht und Finsternis im Spiegel der Religionen geht es um Feindschaft und Versöhnung/Vergebung; und das bedeutet: „Ohne Vergebung kein Friede – das gilt auch für unser Verhältnis zu jener geheimnisvollen letzten Wirklichkeit, auf die sich die Menschheit unter vielen Namen und Bildern bezieht“ (S. 32). Göttliches Licht vertreibt nicht alle Dunkelheiten dieser Welt, aber es setzt Ermutigungszeichen.
▶︎ Exodus 32,7-14 Gottesbilder und Bilderverbot sind religös wirkende Gegensätze, die im Extremfall der Abgenzung als Götzenbilder gesehen werden. Fataler Glaubenseifer führt zur Zerstörung von materiellen und ideellen Gottesbildern der „anderen“. „Machen wir uns nichts vor: Ein jeder von uns trägt ein Gottesbild oder sogar viele Gottesbilder mit sich herum“ (S. 47) weil wir angesichts des unsagbaren und unsichtbaren Gottes mit unseren begrenzten Ausdrucksmöglichkeiten nicht ohne Bilder auskommen; damit können sie aber nie endgültig sein, denn gerade die Vielfalt der Bilder markiert unsere Begrenztheit (S. 48). Damit hat der Prediger sehr deutlich sein dialog-offenes Gottesveständnis markiert!
▶︎ Apostelgeschichte 17,22-34 „Dem unbekannten Gott“: Der Text ist auf den ersten Blick eine nicht erwartete Steilvorlage für eine interreligiös offene Bibellektüre. In seiner resümierenden Auslegung verbindet der Prediger die Hoffnung, „dass auch andere neugierig darauf werden, wie sich die Erfahrung des göttlichen Geheimnisses, des unbekannten Gottes, bei Menschen aus anderen Kulturen und anderen religiösen Traditionen niedergeschlagen hat. Mich hat dies in meinem Leben zuiefst beeinflusst. Es hat meinen eigenen Glauben herausgefordert, verändert und letztlich auf neue Weise bestärkt, ich muss nicht gegen andere glauben, sondern kann mit ihnen glauben“ (S. 57).
▶︎ In Bezug auf das berühmte Lied „Stille Nacht, Heilige Nacht“ sowie 1. Kön 19,12 (Elias Gottesbegegnung im sanften Wind) und Psalm 65,2 hebt der Prediger den interreligiösen Bezug noch schärfer heraus, indem er die „Stille Nacht, Heilige Nacht“ mit Texten aus den Daodejing, den Upanishaden und mit dem berühmten buddhistischen Mahayana-Mönch Shantideva (7-/8. Jh.) geradezu kommentiert. Zugleich wird dabei deutlich, dass.nicht nur die östlichen Religionen, sondern auch westliche Mystik den Weg der inneren Stille mit der unaussprechlichen letzten Wirklichkeit identifiziert. „Heilige Stille, so lässt sich vielleicht sagen, ist dieses Leerwerden, gehalten im Unfassbaren“ (S. 62).
Der Titel von Teil 2: Verkörpertes Wort signalisiert bereits, dass es hier um ein Konstitutivum christlichen Glaubensverständnisses geht:
▶︎ In der Weihnachtsmeditation des Autors steht die zentrale Glaubensaussage der Menschwerdung Gottes zur Debatte – und dann noch als hilfloses Baby. Die Inkarnation ist zugleich ein erheblicher Stolperstein im interreligiösen Dialog. Der Theologe tut sich schwer angesichts dieser göttlich-menschlichen Identitätsmarkierung Jesu. Auch der Bezug auf Joh 1,14 – Jesus als Inkarnation des Wortes Gottes und der Verweis auf die islamische Aussage, dass jeder als Muslim, als Gott Ergebener, geboren wird, scheint Schmidt-Leukel nicht recht zu befriedigen. Bereits im Kind und nicht erst vom Ende des Lebens her in Jesus den Gottessohn sehen (S. 67) scheint für den Autor wie ein Identitätsbruchstück zu wirken, dessen Einordnung sperrig bleibt. Ob Martin Luther mit seiner Aussage „Nichts ist so klein, Gott ist noch kleiner“
(Vom Abendmahl Christi, Bekenntnis, 1528) weiterhelfen kann?
▶︎ Da wirkt die Predigt über Johannes 21,1-14 wie eine Art Erleichterung, nämlich von der Identitätsmarkierung „Auferstehung“ her diesen Jesus neu sehen zu lernen, also seine wahre Identität zu erkennen, nämlich als Erscheinen der Liebe Gottes, die jedem Menschen gilt. Mit Bezug auf den Johannes-Prolog (Joh 1 ) und den 1. Johannesbrief ist die Gleichsetzung von Gott ist Liebe, die Liebe ist Gott nur noch die logische Konsequenz: „Das Inkognito des Auferweckten spiegelt unser eigene Blindheit. Dass sein Licht diese Finsternis dennoch erhellt, spiegelt seine Liebe“ (S. 75) als „Expression“ Gottes.
▶︎ Unter Bezug auf Micha 6,6-8 mit dem Stichwort Opfer spiegelt der Autor Gotteserfahrungen im Horiziont eines Leben gebenden und nicht Leben nehmenden Gottes (S. 81). Er hält fest: Gott braucht keine Opfer, er will Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, was allerdings in aktiver letzter Konsequenz das eigene Lebensopfer nicht ausschließt.
▶︎ Als interreligiöse Fokussierung wirkt die Predigt über Matthäus 25,31-46 „Das habt ihr mir getan“, verbunden mit buddhistischen und islamischen Texten und Geschichten, die hier im Gleichklang von Bibel und Koran bzw.Hadith gipfeln: Jesus wird zum Symbol Gottes. „Genauso wie Jesus zu den Menschen steht … steht Gott selbst zu den Menschen“ (S. 91)´
▶︎ Die Jesusfrage an Petrus “Liebst du mich“ im Zusammenhang einer Begegnung mit dem auferstandenen Jesus (Joh 21,15-19), gipfelt in der Herausstellung johanneischer Theologie. „Braucht Jesus unsere Liebe? Im Sinne des Johannesevangeliums lässt sich diese Frage wohl bejahen: Ja, in der Tat, Jesus – auch der auferweckte Jesus – braucht unsere Liebe. Genauer gesagt, er braucht es, dass wir seine Liebe zu Gott teilen, dass wir Gott lieben, indem wir den Nächsten leiben – und nicht nur den Nächsten, sondern sogar den Feind“ (S. 99).
▶︎ Den Gedanken des Gottesbundes mit dem Menschen – „Gottes Volk“ – nimmt Schmidt-Leukel in seiner Predigt Jeremia 31,31-34 und mit Bezug auf Ezechiel 11,19-20 auf. Da lässt sich sehr schön – auch gegen antijudaistische Strömungen – zeigen, dass Gotteserkenntnis angesichts des „menschlichen Herzens Gottes“ (S. 104) nicht Abgrenzung, sondern als Konsequenz aufeinander zugehende Menschenfreundlichkeit bewirkt.
▶︎ Mit dem Vortrag „Maria und Jesus“ schimmert bei Schmidt-Leukel durch, dass er auch katholisch geprägt wurde. Das ist aber umso schöner, weil es ihm dadurch gelingt, weiblich Göttliches im Islam und den asiatischen Religionen hervorzuheben. Dieses ist in der Marienfrömmigkeit des Christentums besonders auffällig. In der Reformation hatte Luther Maria konsequent auf ihre Menschlichkeit konzentriert/reduziert. Aber im Symbol Maria in Verbindung mit dem (göttlichen) Kind spiegeln sich Bilder zwischen Himmelskönigin und Pietà (vgl. die Bildttafeln). Besonders angesichts eines mütterlich-göttlichen Verständnisses scheint Maria gar zu einer Vermittlerfigur der Religionen „aufzusteigen“ Die im Vortrag nicht erwähnten Jesaja-Stellen (besonders; Jes 45,10; 66,13) eröffnen dazu gewiss weitere Wege. Und angemerkt sei noch, dass der Pietist Johann Jakob Schütz im Lied „Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut (EG 326) schreibt: „Mit Mutterhänden leitet er, die Seinen stetig hin und her.“
In Teil 3: Gewagte Zuversicht haben die Herausgeber fast nur Universitätspredigten zusammengestellt, die eine eschatologische Orientierung bieten und zugleich wie eine unmittelbare Fortsetzung des 2. Teils wirken.
▶︎ Der Abschnitt beginnt mit der Predigt zu Johannes 15,1-9. Hinter dem „Bleiben“ dieFrage, was es heißt, in der Liebe Jesu zu bleiben. Und des Predigers Antwort lautet: „In Jesus bleiben heißt, in der Liebe Gottes zu bleiben – in der Liebe Gottes, so wie sie in Jesus erschienen ist.“ Sie befreit aus der Ich-Zentrierung (Selbstverkrümmung nach Luther, S. 121) „wie es die Androhung von Strafe und die Verheißung von himmlischem Lohn nicht vermögen“ (S 122). Diese kann Schmidt-Leukel nur als Schleier sehen, „die das wahre Antlitz Gottes eher verbergen als erhellen (aaO). Das ist die neue Perspektive einer Liebe, die wie Christus Gottes Liebe „weiterreichen“ will.
▶︎ Wie Gebet, besonders Bittgebet und (ge)rechtes Handeln zusammenhängen, fragt der Prediger im Kontext von Lukas 18,1-8, dem Gleichnis des ungerechten Richters: „Doch wenn Gott nicht nur mächtig, sondern zugleich allgütig ist, warum schafft er dann denen, die in Not sind, nicht von sich aus Hilfe? Warum muss er sich hierfür erst bitten lassen? … Und warum greift Gott so häufig überhaupt nicht ein, schafft den Opfern kein Recht …? (S. 125f). Der berühmte Sufi-Meister Ibn Arabi (1165-1240) gibt eine beeindruckende Antwort: „Gott wünscht sich, Gott selbst betet, dass wir uns ihm zuwenden. Gerade indem wir uns auf unsere ganz persönliche und individuelle Art an Gott wenden, mit unseren ganz eigenen Bitten zu Gott kommen, ist Gott selbst in uns am Werk …“ (S.128)
▶︎ Die Thema-Predigt „Leid“ im Horizont des Hiobbuches und der Problematik von Vergeltung und Belohnung lässt den Prediger Aussagen zur Sensibilisierung für das Leid anderer und zur Leidüberwindung hörbar werden, um zu resümieren: Die universale Barmherrzigkeit Gottes, die sich in Jesus spiegelt, bedeutet keine Erlösung von Leid-Erfahrungen, sondern setzt Sinn und Handeln frei „durch mitfühlende und heilende Zuwendung“ (S. 137).
▶︎ Liebe und Tod – mit dem Predigttext Römer 13,8-12 ist zugleich eine Variation der Leidthematik mit Bezugtexten zum Islam und zur Bhagavadgita. Schmidt-Leukel findet Antwort in der Bhagavadgita, die auch für Paulus passt: „Hinter der vermeintlichen Unbarmherzigkeit der Zeit steht die Barmherzigkeit dessen, der uns liebt, wie der Vater den Sohn, wie der Freund den Freund, wie der Geliebte seine Geliebte“ (S: 145)
▶︎ Auch die folgende Predigt bleibt beim Thema Leid: Knechtschaft der Vergänglichkeit nach Römer 8,18-23 und zwar so, dass sowohl Paulus als auch Schriftstellerinnen wie Simone de Beauvoir mit dem indischen Reinkarnationsglauben darin überinstimmen, dass immerwährendes Leben zugleich das Verhaftetsein in der Vergänglichkeit bedeutet. Wie aus dem Dilemma herauskommen? Es scheint keinen logischen Ausweg zu geben (S. 151). Mit dem Lebensbeispiel und einem Briefzitat des Schweizer Missionswissenschaftlers Anton Peter, SMB (1953-1998), der nach einer erfolgreichen Hirn-OP erneut einen Tumor bekam und daran starb, sieht Schmidt-Leukel eine Antwort, die im Gleichklang von Loslassen und Gottvertrauen besteht, weil es vor allem darum geht:“ganz bewusst den Weg des Gottvertrauens, des Loslassens und Abschiednehmens behutsam und ohne Panik zu gehen“ (S. 153).
Der beeindruckendste Dialog-Text dieser Sammlung ist das fiktive Gespräch zwischen dem Apostel Paulus und dem berühmten buddhistischen Mönch Shantideva (7./8. Jh.), den der Autor schon in seinen Gedanken über die „Stille Nacht, Heilige Nacht“ ausführlich zu Worte kommen lässt. Dieses fiktive Gepräch entstand aus dem Forschungsprojekt eines christlichen Kommentars zum buddhististschen Bodhicaryavatara und steht unter dem Titel: »Wer wird mich … erretten?« Das kommunikative Kreisen um das Gottesverständnis in diesem Dialog eröffnet ungewöhnliche Perspektiven. Der Überrschangseffekt für die beiden Denker gipfelt in einer übreinstimmenden Feststellung, – für Shantideva: den Leidenden zu dienen, ist allein die Verehrung der Buddhas – faktisch gleichklingend mit Paulus: wahrer Gottesdienst besteht darin, den Menschen zu dienen (S. 162).
Die Heilsutopie des Jesaja 65,17-25, eine Gottesrede aus Prophtenmund , begegnet vielfach nicht nur bei den biblischen Propheten, sondern auch an anderen Stellen der Bibel (Apk 21,1-4, Matthäus 25,1-13). Auch dem Islam, Hinduismus und Buddhismus sind solche menschlich vermittelten Gottesreden nicht fremd. Aber sind nicht all diese darin zu Worte kommenden Utopien, auch die a-theistischen wie der Marxismus, gescheitert und Glaubende dann enttäuscht gestorben? Und die Heilserwartungen an die Wissenschaft?.
Hier ermutigt der Prediger nachdenkend auf Karl Marx, Erich Fromm, Sigmund Freud und Bertrand Russel einzugehen und ihre (a-theistischen) Utupien als Bilder zu nehmen, „die uns antreiben, beständig auf die Verbesserung der Lebensbedingungen hinzuarbeiten“ (S. 171). Mit Paulus (Römer 11,36) emfiehlt er, von einer Grenzen überschreitenden Wirklichkeit auszugehen die wir >Gott> nennen (S. 173). Dieses Eingeständnis macht innerlich frei, unsere Grenzen, die allem Endlichen innewohnen, zu akzeptieren und „engagiert für das Heil der Welt zu arbeiten, ohne das Heil von der Welt selbst zu erwarten“ (S. 173)
Die Frage Mythos Jenseits? bearbeitet Schmidt-Leukel nicht im Sinne einer klassischen Entmythologisierung, aber doch ähnlich wie sie Bultmann mit einer präsentischen Eschatologie formuliert hatte. Der Prediger nimmt sich zurück und bleibt nämlich mit Paulus „im Bilde“, ähnlich wie die rheinischen Mystiker und unterstützt durch den Reformer Shinran (12./13. Jh.) den Stifter des „Reinen-Land-Buddhismus (Amidismus): Das Jenseits sollte eher wie eine Hülle des Diesseits verstanden werden. „Im Diesseits, so schreibt es Paulus, sehen wir Jenseitiges nur wie in einem dunklen Spiegel (1 Kor 13,12). Und wenn wir hier und jetzt schon auf das Reine Land vertrauen, so lehrt Shinran, dann haben wir in gewisser Weise bereits Anteil an diesem >Land< gewonnen: Wir sind schon in seine Wirkllichkeit eingetreten, gerade indem wir uns darauf als die absolute Zukunft verlassen“ (S. 177)
3. Resümee
Für den Rezensenten (selbst mit langjähriger Predigterfahrung) wirken die vorliegenden (Predigt-)Texte im Horizont einer interreligiös offenen Bibellektüre wie eine neue Sehschule. Nähe und Unterschiede in den variierenden Selbstverständnissen der jeweiligen Glaubenstraditionen werden keineswegs geleugnet, sondern aus der variierenden religiösen Vielfalt neue und auch ungewohnte Sichtweisen zur Stärkung des eigenen Glaubenslebens gewonnen.
Schmidt-Leukels (Universitäts-)Predigten und Meditationen kann man fast als „religiöse Reden“ im Nachklang zu Schleiermacher sehen. Sie sind “poulärwissenschaftlich“ in einem guten Sinn – und nicht verwunderlich bei einem Wissenschaftler – der Universität nahe geblieben. Davon jedoch unabhängig, werden sie für alle Mitdenkenden zum Anstoß und zur Orientierungshilfe. Es lohnt in meditativer, religionspädagogischer und homiletischer Kommunikation, sich generell auf interreligiöse Offenheit einzulassen. Mit einer solchen Zielrichtung lassen sich auch binnenorientierte Gottesdienstformen und Predigten aufbrechen. Gerade durch das für viele Christen immer noch ungewohnte „Hinsehen“ und auch „Hinhören“ auf andere Religionen, eröffnet die Bibel neue Horizonte. Allerdings lässt die Gute Nachricht / das Evangelium der biblischen Texte unterschiedliche Gottesverständnisse aufscheinen. Gott lässt sich bei allen Auslegungsbemühungen in des Wortes originaler Bedeutung nicht „festmachen“, denn der Name „Gott“ steht für ein Geheimnis der Wirklichkeit , das sich angesichts des Geheimnisses der Welt mehr erahnen als beschreiben lässt. Allerdings werden dadurch dogmatische Verkrustungen – nicht immer zur Freude mancher – geradezu „aufgeweicht“. Aber für Perry Schmidt-Leukel gehört dieses offene Gottesverständnis im Rahmen einer umfassenderen Wirklichkeit zu den Grundmustern seines Denkens
So bleiben seine Predigten intellektuell anspruchsvoll, wirken eher unaufgeregt, sozusagen mit verzögerter, aber dann umso intensiverer „Pro-Vokation“. Sie fordern zu neuem Hinsehen und Hinhören heraus – mit notwendiger Korrektur der eigenen Glaubensichten und Hörgewohnheiten, und zwar in Richtung auf ein friedliches und innovatives menschliches Miteinander. Das sind nicht zu unterschätzende Anstöße für alle, die sich auf die konkrete, persönliche und situationsbezogene Auslegungen religiöser Texte nicht nur der Bibel einlassen (möchten). Dieses Buch sei darum nicht nur allen Predigenden ausgesprochen empfohlen!
Reinhard Kirste
Vgl. auch:
Predigten, Andachten, Gebete >>>