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Die Symbolik der Vier im Kreuzgang des Konstanzer Münsters (Maßwerk – Wikipedia) |
Bezeichnend für die Auslegungsmethodik (nicht nur biblischer Texte) im Mittelalter war der vierfache Schriftsinn, d.h. hinter dem wörtlichen Verständnis (sensus litteralis) eröffneten sich weitere Verstehenszugänge spiritueller Art. Dieses hermeneutische Verfahren führt zu weiteren vertiefenden Bedeutungsebenen. Durch sie wird ein umfassenderes vertieftes Verständnis erreicht:
- Literalsinn = wörtliche, geschichtliche Auslegung
- Typologischer Sinn (bereits vorgezeichnete
[alttestamentliche] Interpretation „im Glauben“)
= dogmatisch-theologische Auslegung (der Kirche) - Tropologischer Sinn (die Zielrichtung der Interpretation: „in Liebe“)
= moralisch intendierte Sinnebene
in der gegenwärtigen Wirklichkeit des einzelnen Menschen (Einzelseele) - Anagogischer Sinn (weiterführend als Interpretation „in Hoffnung“)
= endzeitlich-eschatologische Auslegung
Oder auch in der Variation:
- als sensus litteraris oder historicus (der Wortsinn eines Textes:
z. B. Jerusalem als historische Stadt), - als sensus allegoricus
der allegorische Sinn: Jerusalem als Kirche Christi - als sensus moralisdie moralische Lehre: Jerusalem als Seele des einzelnen Gläubigen
- als sensus anagogicus (der Verweis auf die Eschatologie: das himmlische Jerusalem als künftiges Gottesreich).
Im Mittelalter wurde die Lehre vom mehrfachen Schriftsinn auch für die Auslegung von Texten antiker, nicht-christlicher Autoren fruchtbar gemacht, die somit einer christlichen Deutung zugänglich wurden.
(nach: Literaturwissenschaft online, abgerufen 21.01.2019)
Als mittelalterlicher Merkspruch
Littera gesta docet – | Der Buchstabe lehrt, was geschehen ist, |
quid credas, allegoria – | was du glauben sollst, lehrt die Allegorie, |
moralis, quid agas – | der moralische Schriftsinn sagt, was du zu tun hast, |
quo tendas, anagogia – | worauf du hoffen kannst, beschreibt die Anagogie. |
Als konkretes Bild-Beispiel:
Der Garten der Lüste von Hieronymus Bosch
(Universität Bayreuth)
(Universität Bayreuth)
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Der Garten der Lüste (Hieronymus Bosch – wikipedia) |
Über den vierfachen Schriftsinn
aus: „La famille chrétienne, no. 1625 bis, 07.-13.03.2009
CC