In den Gärten der Bestattung – Bergisch Gladbach |
Denkanstoß 17 – „Eine Million Trauernde“
Die Menschen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die im Moment
zu uns kommen, haben nicht nur ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Viele
mussten aus der Heimat fliehen, weil ihr Leben bedroht war. Sie kommen
zu uns, weil sie glauben, bei uns Schutz und Sicherheit zu finden. Sie
kommen zu uns um zu überleben. Viele der Ankommenden sind junge Männer,
die ihre Familien in der Hoffnung zurückgelassen haben, von Deutschland
aus für sie sorgen zu können. Wir können uns nicht vorstellen, wie viel
Angst diese Menschen um ihre Mütter, Väter, Geschwister und Freunde
haben.
In den Medienberichten geht es in der Regel um die
Situation in den Herkunftsländern, die Umstände der Flucht oder die
Probleme in den Aufnahmelagern.
Fast nie wird über die Trauer der
Flüchtlinge gesprochen. Da die Menschen aus Kriegs- oder Krisengebieten
kommen, sollten wir davon ausgehen, dass die Flüchtlinge in gar nicht
so ferner Vergangenheit Verwandte und Freunde verloren haben, die von
den Truppen von Diktator Assad oder den ISIS Terrorristen ermordet
wurden.
Wer schon einmal einen geliebten Menschen verloren hat,
weiß, welche dunklen Stunden der Verzweiflung man durchlebt und wie
wichtig es ist, in diesen Momenten in einer Gemeinschaft geborgen zu
sein, einen Ort zu haben für die Trauer.
Versetzen wir uns doch
einmal für einen Moment in die Lage der Refugees. Ihre Häuser sind
zerbombt, die toten Eltern und Kinder mussten sie unter den Trümmern
zurücklassen. Eine Gemeinschaft, die sie in ihrer Trauer auffängt, sie
hält, haben die meisten nicht. Und sie haben auch keinen Ort, an dem sie
trauern können. Was werden die Folgen sein?
Wir müssen nur auf
uns selbst schauen, um diese Frage zu beantworten. Unsere Eltern und vor
allem unsere Großeltern waren Überlebende des zweiten Weltkrieges. Sie
waren Täter und Opfer, Ausgebombte und Vertriebene. Spuren ihrer
unbewältigten Trauer finden wir heute noch in uns.
Die Journalistin und Autorin Sabine Bode schreibt dazu in ihrem neuen Buch Kriegsenkel*:
„Die
Kriegsvergangenheit zeigt auch heute noch in vielen Familien Spuren,
bis in die zweite und dritte Generation hinein. Als Friedenskinder sind
sie in den Zeiten des Wohlstandes aufgewachsen. Es hat ihnen an nichts
gefehlt. Oder doch? Die Generation der zwischen 1960 und 1975 Geborenen
hat mehr Fragen als Antworten: Wieso haben viele das Gefühl, nicht genau
zu wissen, wer man ist und wohin man will? Wo liegen die Ursachen für
diese diffuse Angst vor der Zukunft? Weshalb bleiben so viele von ihnen
kinderlos? Noch ist es für sie ein völlig neuer Gedanke, sich
vorzustellen, ihre tief sitzende Verunsicherung könnte von den Eltern
stammen, die ihre Kriegserlebnisse nicht verarbeitet haben. Ist es
möglich, dass eine Zeit, die über 60 Jahre zurückliegt, so stark in ihr
Leben als nachgeborene Kinder hineinwirkt?“
In dem Buch von
Sabine Bode geht es auch um nicht bewältigte Trauer. Wir sind zwar eine
sehr erfolgreiche Gesellschaft, aber tatsächlich sind wir auch eine sehr
traurige. Vielleicht liegt in der Hilfe und Zuwendung zu den Menschen,
die jetzt zu uns kommen, auch eine Chance, etwas zur Bewältigung unserer
eigenen Vergangenheit zu tun. Nutzen wir sie.
Herzlichst,
Hanna Thiele Roth David Roth
Bergisch Gladbach im Oktober 2015
*Sabine Bode: Kriegsenkel. Klett-Cotta, 304 Seiten, broschiert — ISBN: 978-3-608-94808-0
Sabine
Bode lebt als freie Journalistin in Köln, schreibt Sachbücher
und
arbeitet für die Kulturredaktionen des Hörfunks von WDR und NDR.
Presse-Kontakt:
Reichert Medien Consultants, Gotenstr. 5-7, 65929 Frankfurt am Main,
Tel. , Fax. 069/78 99 50 36, Mail: kr@medien-consultants.de