Wieder im Blick: Frauen im Buddhismus

Agnes Pollner: Die weibliche Seite des Buddha.
Ein
Lesebuch.

Stuttgart: Theseus 2008, 440 S.
— ISBN 978-3-7831-9535-4 —

Die
Autorin, buddhistische Meditationslehrerin der Vajrayana-Richtung
(Diamant-Fahrzeug) hat sich nach 12 Jahren als Theaterschauspielerin entschieden,
selbst kreative Prozesse unterschied­licher Art anzuleiten. Sie gehört zum
Netzwerk „Tara Libre“ um Sylvia Wetzel und hat selbst den Verein „Frauen im
Aufbruch“ gegründet, der das Element des Weiblichen in buddhistische Praxis einbringt.
Im Vorwort weist Sylvia Wetzel, ehemaliges Vorstandmitglied in der DeutschenBuddhi­stischen Union (DBU) und bekannte Meditationslehrerin, warum dies ein besonderes Buch ist:

„Frauen
gehörten zwar nie zum Mainstream des Buddhismus, aber sie befassten sich in
allen Jahrhunderten und Kulturen mit den Lehren des Buddha und seiner
Nachfolger und Nachfolgerinnen. Sie übten diese Lehren selbst, und sie
versorgten Mönche und Nonnen, Einsiedlerinnen und Einsiedler mit Essen und
Kleidung. In den Zeiten und Regionen, wo Frauen Zugang zu Besitz und Bildung
hatten, förderten sie Nonnen und Mönche im großen Stil durch den Bau von
Klöstern und durch großzügige Geld-, Nahrungs- und Kleiderspenden … Zu allen
Zeiten gehörten Frauen auch zu der kleinen Gruppe derer, die die Lehren des
Buddha mit Leib und Seele übten … Eine Zen-Lehrerin in Los Angeles war es Ende
des 20. Jahrhunderts leid, immer nur die Namen der männlichen Ahnen zu
rezitieren, und so stellte Wendy Egyoku Nakao Sensei … eine Liste
buddhistischer Frauen … für eine Liturgie zusammen. Heute, am Anfang des 21.
Jahrhunderts, werden im Zen Center von Los Angeles die männliche und die
weibliche Linie im Wechsel angerufen, und dieses Beispiel macht Schule“ (S.
13f).

Dies
ist faktisch der Hintergrund für die Entstehung des Buches, besonders weil
Agnes Pollner, bevor sie an die Niederschrift ging, einen Teil der hier
versammelten Frauen-Geschichten erzählend in Meditationskurse einbrachte. Dies allein würde jedoch zum Verständnis nicht ausreichen, darum unternimmt es die Autorin, diese Geschichten von weisen Frauen, Heldinnen, Yoginis (Yoga Übende),
Dakinis („Engel“), „Heiligen der besonderen Art“ (insgesamt eine Auswahl von 70
Frauen) vorzustellen. Sie ordnet diese den einzelnen buddhistischen Traditionslinien
zu – dem frühen Buddhismus (überwiegend Theravada-Geschichten im 1. Teil), dem Mahayana mit den Schwerpunkten Indien, China und Japan im 2. Teil und schließlich dem tantrischen Buddhismus, also dem in Tibet und den
umliegenden Regionen beheimateten Vajrayana-Buddhismus, im 3. Teil. Hier kommen auch drei Frauen in besonders ausführlicher Weise zur
Sprache, deren Bedeutung Agnes Pollner unter den Gesichtspunkten der
Körperlichkeit besonders hervorhebt:
  • Machig Labdrön (wahrscheinlich 11./12. Jh., die Dämonenbezähmerin und
    die „Erfinderin“ des Chöd, einer speziellen Übung des „Durchschneidens“ eines
    falsch verstandenen Ichs (S. 342 ff).
  • Mandarava (8. Jh.), die schon als Inkarnation des heiligen Flusses Ganges
    zu Lebzeiten des historischen Buddhas erschienen war.
  • Yeshe Tsogal (wahrscheinlich 757–817), ebenfalls schon früher
    reinkarnier
    t und eine der eifrigsten Yoga-Übenden (Yoginis) und tibetische
    Wanderpredigerin.

Historische
Unsicherheiten sowie legendarische Übermalung und Erweiterung gehen dabei eine
nicht ohne Weiteres aufzulösende Verbindung ein. Wichtiger jedoch als die
historische Klärung sind ihre Geschichten in der der
buddhistischen-spirituellen Wirkungsgeschichte. Obwohl ihr Herz wohl etwas
stärker in Richtung Tantrismus schlägt, geht es der Autorin wohl nicht nur um
die berühmten Frauen: „Die tantrischen Schriften weisen immer wieder daraufhin,
dass … besonders jene Frauen gemeint sind, denen man im Alltag begegnet, nicht
nur weibliche Lichtgestalten, denen man in der Abgeschiedenheit der Meditation
huldigt. Diese Anweisungen richten sich an ein männliches Publikum, das eine
antrainierte Abneigung gegen weibliche Körperlichkeit aus dem monastischen
Umfeld mitbringt“ (S. 261).

Es ist
natürlich nicht möglich, hier auf alle Frauengeschichten und die Vielfalt der buddhistischen
Veränderungspraxis einzugehen. Offensichtlich haben Frauen hier etwas in Bewegung gebracht, weil sie bewusst
oder unbewusst aufgrund der männlichen Dominanz bisher nicht genügend
berücksichtigt wurden. Diese Geschichten, eingebettet in knappe, meist präzise
Hintergrundinformationen machen aber durchweg deutlich, dass – wie
offensichtlich in vielen Religionen – das weibliche Element aus patriarchalem
gesellschaftlichen Interesse vernachlässigt bis unterdrückt wird. Auch der
historische Buddha brauchte erst kräftige Hinweise, um überhaupt Nonnenorden
zuzulassen.
Wie
„Erwachen“ geschieht, zeigen viele Beispielgeschichten, so wie jene der Zen-Meisterin
Mugai Nyodai (aus Japan), die Sutras rezitiert, den Klosterhof fegt, schweigt
und Wasser im Bambus-Eimer aus dem Brunnen holt. Einmal beim Wasserholen
zerbricht der Eimer: „Auf die eine oder andere Weise versuchte ich immer den
Eimer zusammenzuhalten, hoffte, der schwache Bambus würde niemals nachgeben.
Plötzlich fiel der Boden heraus: Kein Wasser mehr, kein Mond im Wasser mehr.
Und Leerheit in meiner Hand“ (S. 200).
Der
Zugang zu diesem flüssig und anregend geschriebenen Buch kann auf zweierlei
Weise geschehen. Zum einen durch „Schmökern“, wie die Autorin sagt, es ist
bewusst als „Lese-Buch“ konzipiert. Aber zum anderen lohnt sich auch der systematische Zugang, gerade wenn man die verschiedenen buddhistischen Richtungen etwas besser
in ihrer Frauen-Geschichte und der weiblichen Erleuchtungskraft kennen lernen will.



Weitere Titel zum Thema:

  • Ellison Banks Findly (ed.): Women’s Buddhism, Buddhism’s Women. Tradition, Revision, Renewal.
    Boston (USA): Wisdom Publ. 2000, 498 pp., index
  • June Campbell: Göttinnen, Dakinis und ganz normale Frauen. Weibliche Identität im tibetischen Tantra. Aus dem Englischen von Theo Kierdorf und Hildegard Höhr. Berlin: Theseus 1997, 320 S.
  • Bimala Churn Law: Women in Buddhist Literature [1927].
    Varanasi (India): Indological Book House 1981, 128 pp. + index: VII pp.
  • Rita M. Gross / Rosemary Radford Ruether: Religious Feminism and the Future of the Planet. A Buddhist-Christian Conversation. London / New York: Continuum 2001, 229 pp.
  • Karma Lekshe Tsomo (Hg.): Töchter des Buddha. Leben und Alltag spiritueller Frauen im Buddhismus heute. Aus dem Englischen vom Sakyadhita-Übersetzerinnenteam.
    München: Diederichs 1991, 326 S., Glossar
  • Ayya Khema / Pema Chödrön: Offenes Herz – mutiger Geist. Oy-Mittelberg: Jhana Verlag 2004, 368 S. 
  • Susan Murcott: Bouddha et les femmes. Les premières femmes bouddhistes d’après le Therigatha. Traduit de l’anglais par Bénédicte Niogret. Paris: Albin Michel 1997, 267 pp.
  • Carola Roloff (Jampa Tsedroen): Publikationen zum Buddhismus, auch Thema: Nonnen
  • Rozett, Ella: Himmelsläuferinnen – Die Engel des tibetischen Buddhismus?
    In: Reinhard Kirste / Paul Schwarzenau / Udo Tworuschka (Hg.): Engel – Elemente – Energien. Religionen im Gespräch, Bd. 2 (RIG 2). Balve: Zimmermann 1992, S. 350-360
  • Judith Simmer-Brown: Dakin’s Warm Breath: The Feminine Principle in Tibetan Buddhism.
    Boston (USA): Shambhala Publ. / Random House 2001, XXV, 404 pp.
  • Kathryn Ann Tsai (Translation): Lives of the Nuns. Biographies of Chinese Buddhist Nuns from the Fouth to Sixth Centuries. Honolulu (USA): Univ. of Hawaii Press 1994, XI, 188 pp., index
  • Masatoshi Ueki: Gender, Equality in Buddhism.
    Asian Thought and Culture, Vol. 46. New York a.o. 2001, XV, 215 pp.
Reinhard Kirste 
Rz-Pollner (bearb). 23.02.2017 


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