Wieder im Blickfeld – David T. Sugimoto: Wie sich Göttinnen wandeln


David T. Sugimoto (ed.):
Transformation of a Goddess.
Ishtar –
Astarte – Aphrodite.
             
Orbis Biblicus et Orientalis 263.
Fribourg (CH): Academic Press / Göttingen: Vandenhoeck
& Ruprecht
2014, XIII, 234 S., Abb, Indices
ISBN:
978-3-7278-1748-9 (Academic Press Fribourg)
und 978-3-525-54388-7 (V & R)

InterReligiöse Bibliothek (IRB): Buch des Monats Dezember 2014


 Kurzrezension: hier

Ausführliche Beschreibung 

Der Archäologe und Ethnologe D.T. Sugimoto von der Keio-Universität in Tokyo gehört zu den
führenden Spezialisten mittelöstlicher antiker Archäologie. Er hat intensiv
über die herrschenden Mutterkulte und über den sich ausbildenden Monotheismus
im östlichen Mittelmeerraum geforscht. Viele archäologische Projekte in Israel
und Palästina leitete er und organisiert derzeit die Ausgrabungen im
palästinensischen Beitin: Der Ort spielte bereits eine bedeutende Rolle in der
Bronzezeit und konnte inzwischen als das biblische Bethel identifiziert werden. 

Man kann nun darüber diskutieren, ob es sich bei den im Buch angesprochenen
Transformationen wirklich nur um eine
Göttin handelt oder angesichts der verschiedenen Kulturräume und Epochen um
mehrere Göttinnen. Die unter demselben Thema wie das Buch firmierende Konferenz
aus dem Jahre 2011 an der Keio-Universität Tokyo hatte die Frage offen
gelassen. Die vier Teile des Buches heben nun bestimmte Schwerpunkte hervor:

  1. Die Natur
    der Ishtar/Ischtar  (Innana) in
    Mesopatomien während der(post-)sumerischen Zeit (2. Jts v. Chr.)
  2. Astarte im
    östlichen Mittelmeerraum während der 2. Hälfte des 2. Jts v. Chr.
  3. Astarte/Aschera
    in der Bibel (zwischen 1000 und 800): Archäologische Entdeckungen
    und ergänzende
    Funde in der südlichen Levante.
  4. Astarte-Tempel der Phönizier bis hin
    zur Geburt der Aphrodite auf Zypern – Erkenntnisse aus archäologischen
    Fundstätten vom 3. Jahrtausend bis in die vorchristlich-hellenistische Zeit.
Eiko Matsushima (Hosei Universität Tokyo) stellt
die sexuell höchst aktive und zugleich kriegerische Ischtar/Inanna in den Rahmen anderer Göttinnen und verdeutlicht die
Struktur dieser Göttin(en) an der sog. „Heiligen
Hochzeit“
.
An der Heirat Inannas mit ihrem Liebhaber, dem König der Sumerer,
und in vergleichbaren Zeremonien in babylonischen und assyrischen Texten lässt
sich mit einiger Sicherheit zeigen, dass die „Heilige Hochzeit“ keine Heirat
zwischen Göttern ist. Ischtar bleibt in der weiteren Entwicklungsgeschichte die
Mächtigere gegenüber ihren königlichen „Sexualpartnern“. Der Ikonografie der geflügelten Göttin geht
Akio Tsukimoto (Sophia Universität
Tokyo) nach, indem er Bildbeispiele aus der akkadischen und der
altbabylonischen Zeit erläutert und dann syrisch-hethitische Darstellungen heranzieht,
und zwar im 2. und 1. Jahrtausend v.Chr. So kann er immer wieder die
Schutzfunktion der Göttin herausheben, die dann auch der hebräische Gott JHWH
übernimmt. Nun kommen späte bronzezeitlich-syrische Texte zur Sprache. Der
Alttestamentler und Altorientalist Mark
S. Smith (University of New York)
stellt mit Hilfe ugaritischer Texte die
Jagd- und Kriegsgöttinnen Athart und Anat
im Zusammenhang mit Baal und Raschap in ihren mehrfachen
Erscheinungsformen vor, und zwar in den ersten Phasen der Eisenzeit. Damit
kommt auch ihre Rolle im frühen Israel zur Sprache. Hier wird sie von JHWH abgelöst;
einige ihrer Funktionen aber – wie das rituelle Schlachten – bleiben. 

Izak Cornelius
(Stellenbosch-Universität, Südafrika) dagegen untersucht die Ikonografie jener Göttinnenbilder von
der Mittleren bis zur späten Bronzezeit, die als Astarte“ gelten. Die Blicke in die Levante und nach Ugarit liefern
keineswegs eindeutige Ergebnisse. Stehen wir immer der wirklichen Astarte
gegenüber, wenn wir die Zeugnisse des 2. Jahrtausends betrachten? Vielleicht
wollten die „Alten“ das Gesicht der Astarte nicht zeigen, und so bleibt sie bis
auf weiteres ein Rätsel. Etwas leichter ist das bei der „reconsideration“ der Astarte im Neuen Reich von Ägypten (1550–1070
v. Chr.), wie Keiko Tazawa (Museum
des Alten Orients, Tokyo) ausführt. Der Autor nimmt eine interessante Gegenüberstellung
vor – hier: die nahöstliche Göttinnen-Trias Astarte (göttliche Mutter und
Kriegerin), ähnlich die Schutzgöttin Anat und schließlich Qadesch/Quedesch die
Göttin der Fruchtbarkeit, der Liebe und Vitalität. Sie begegnen wieder um Hathor als Kriegerin und Mutter mit
Sekhmet, Bastet, in die Mut, Gemahlin des Theben-Gottes Amun, sowie der Isis- und Osiris-Mythos einbezogen
sind. Diese Göttinnen sind in ihrer Schutz- und Mutterfunktion für das neue
Reich in Ägypten die stabilisierende Kraft.

Zurück nach Kanaan: Stéphanie Anthonioz (Institut
Catholique, Lille) hebt hervor, dass Astarte
zusammen mit dem Baal in der Bibel in
einem gewissen Bezug zu Aschera
steht, der syrisch-kanaanäischen Meeresgöttin. Sie beeinflusste die
eingewanderten nomadischen Hebräer erheblich, Aschera ist sogar die Gemahlin
Jahwes bis zur endgültigen Durchsetzung des Monotheismus! Das belegen Texte aus
dem Richterbuch und den Samuel- und Königsbüchern. Erst im Deuteronomium (also
etwa ab dem 7. Jh. v. Chr.) gelingt eine endgültige klare Abgrenzung. Der
Herausgeber David T. Sugimoto
untersucht judäische Figurinen aus dem
8./7. Jh. v. Chr.
,
die die „Königin des Himmels“ darstellen. Allerdings ist
die Identifizierung mit der Göttin Aschera recht unsicher. Die in dieselbe
Linie gehörende Ischtar/Astarte hat als „Himmelskönigin“ auch noch doppelgeschlechtliche
Ausformungen. 

Angesichts der in den letzten Beiträgen angesprochenen
Kultmuster, lohnt der intensive Blick von Elizabeth
Bloch-Smith
(St. Josephs University, USA) auf die phönizische Astarte deshalb, weil die Göttin in ihrer
Formvielfalt zwischen dem 10. und dem 2. Jh. v. Chr. für die Phönizier die
Patronatsgöttin gegen die zunehmende Hellenisierung des Mittelmeerraums war. Das
belegen die Ausgrabungen alter Tempelanlagen auf Zypern, im Libanon,
Nord-Israel, Nordägypten, Nordtunesien und Italien. Auf die Kult-Geschichte von
Zypern bezieht sich auch Stephanie L.
Budin
(Rutgers University, USA). Die ursprünglich regionalen (erotischen) Aphrodite-Vorläuferinnen seit dem
späten Bronzezeitalter „integrieren“ erst im 4. Jh. v. Chr. die aus dem Meer
steigende Aphrodite. Sie wird schließlich die himmlische Patronin der Insel. 

Bilanz: In diesen Darstellungen dürfte manches für den
interessierten „Laien“ zu speziell sein. Eine ausführliche Untersuchung und sachgemäße
Einschätzung der gefundenen Texte, Skulpturen und Reliefs können nur
Altorientalisten wirklich vornehmen. Das ausgebreitete Material ist dennoch
geradezu Atem beraubend, weil hier gewissermaßen die „Biografie“ der Astarte vom 3. Jahrtausend bis ins 8. Jahrhundert
v. Chr. nachvollzogen wird. Es ist zugleich für alle Bibel-Interessierten ein faszinierender
Einblick in die Entwicklung einer Göttin bzw. die Zusammenführung mehrere
Göttinnen zu einer. Nah- und mittelöstliche Göttinnen-Attribute werden
teilweise von den Israeliten übernommen und in die Jahwe-Religion integriert. Angesichts
der Götter/Göttinnen-Transformation spiegelt sich auch der spätere jüdische
Monotheismus in religiös-polytheistischer Vielfalt.

Reinhard Kirste
Rz-Sugimoto-Goddess, 30.11.14  


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