Wieder im Blickfeld: Michael von Brück zu Jenseitsvorstellungen in Europa und Asien

Michael von Brück:
Ewiges Leben oder Wiedergeburt?
Sterben,
Tod und Jenseitshoffnung
in europäischen und asiatischen Kulturen.

Freiburg
u.a.: Herder 2007, 318 S.
Als Paperback neu aufgelegt 2012, 320 S.
— ISBN 978-3-451-06469-2 —
Das Thema Tod gehört
zu den existentiellsten, aber oft auch beiseite geschobenen Fragen. Dennoch gibt es seit längerer  Zeit kontinuierlich Publikationen in diesem Bereich. In besonderer Weise hat dazu die schwweizerisch-amerikanische Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross (1926-2004) beigetragen. Die  größere Zahl der Veröffentlichungen liegt zum einen auf einer mehr esoterischen Linie, zum anderen boomt die Ratgeberliteratur.  Die Fragen nach Tod und Sterben werden insgesamt intensiver in der Öffentlichkeit wahrgenommen, aber sie gelten immer noch als Tabu-Themen. Das 2007 erschienene Buch des Münchener evangelischen Universitätstheologen Michael vonBrück (geb. 1949) geht einen anderen Weg: Europäische Versuche der Todesüberwindung werden
mit den Jenseitserwartungen asiatischer Traditionen in Verbindung gebracht. Von
Brück ist dafür gewissermaßen prädestiniert, weil er schon in seinen bisherigen
Büchern wissenschaftliche Sorgfalt mit spirituellem Einfühlungsvermögen und
interreligiöser Offenheit verbindet.
In der Einleitung äußert er sich zu Fragen der unterschiedlichen kulturellen Verständnisse von „Tod“,
Nah-Toderfahrungen.
 Hier geht er auch auf den Zusammenhang zwischen privatem und sozialem Tod ein, der von den kulturellen Voraussetzungen unserer Gesellschaft geprägt ist. Ausführlich schreitet er dann drei
Themenkreise ab:


1.
Der
Mythos der Todüberwindung im
Mittelmeerraum und Europa, 
im hinduistisch-budhistischen Raum und in China. 



   Hier erstaunt die mythische Vielfalt.  Der Weg geht vom antiken Griechenland, über  biblische Schwerpunkte bis hin zu Renaissance
und Aufklärung. Von Brück zeigt die Veränderungen im 19. Jahrhundert an. Aber ebenso beschreibt er die in den Göttern Vishnu und Shiva sich ausdrückenden Kosmologien und Bewusstseinszustände
menschlicher Existenz.




2.
Riten
der Sterbe- und Bestattungskulturen unter Rückbezug auf den antiken Mittleren
Osten, Ägypten und Griechenland sowie das frühe Christentum

Das ist der zweite
Themenkreis, den der Autor bis hin zu neuen Entwicklungen in der Darstellung religiöser
Varianten der „ars moriendi“ abschreitet. Eine Besonderheit ist dabei sein Blick auf die Musik und die Requiems bzw. Kantaten von Heinrich
Schütz, Johann Sebastian Bach, Wolfgang Amadeus Mozart, Johannes Brahms und Hans
Werner Henze. Diesen „Sterbemessen“ setzt er den Opfercharakter im Hinduisimus und die Stufen des
Sterbens im Buddhismus gegenüber. Sie zeigen sich rituell verdeutlicht in den karmischen
Kreisläufen des Lebens.

3. Unter eschatologischen
Gesichtspunkten  steht das „Das Geheimnis als Hoffnung“. 

Hier kommen die Themen Angst,
Schicksal, Leere, Sinnlosigkeit, Schuld, Verdammung als Rahmenfelder des Todes
zur Sprache. Paul Tillich spielt für von Brück dabei eine wichtige Rolle. Der
Auferweckung der Toten im christlichen Bereich stellt er intensiv differenzierend
Reinkarnationsvorstellungen aus Asien gegenüber, um in einem ausführlichen Schlussteil
Relationen zwischen Erleuchtung im Buddhismus und Christentum aufzuzeigen. Dabei kritisiert er zwar einzelne Reinkarnationsvorstellungen Indiens zu kritisieren. Dabei (ver-)urteilt er jedoch nicht
abgrenzend,  wie das im Christentum leider immer noch geschieht.
Es geht ihm darum, auf die eine
Wirklichkeit im Leben und Sterben hinzuzielen und damit faktisch einem
dualistischen Verständnis von Leben und Tod, Diesseits und Jenseits den Abschied
zu geben. Die verschiedenen Religionen haben dabei längst Gemeinsames entdeckt:
Sterbekulturen im Horizont der Einen Wirklichkeit
„In tieferen
Bewusstseinsschichten entsteht eine Bewusstheit, in der es keinen Dualismus von
erkennendem Menschen und erkanntem Gott gibt. Auferstehung ist die Erfahrung
dieser Einheit jenseits der Zeit, und wo keine Zeit ist, ist auch kein Tod. Was
jenseits des Todes ist, wissen wir nicht … Da das Bewusstsein in einen ‚Raum’
der Zeitfreiheit eintreten kann, ist es nicht unvernünftig anzunehmen, dass
auch im Tod der Übergang in eine andere Bewusstseinsintensität geschieht, die
an ‚feinstoffliche’ Prozesse gekoppelt ist, die im Tod neu konfiguriert werden“
(S. 306).
Den Umgang mit dem Tod
drücken in diesem Zusammenhang Symbole aus, die auf Verbindlichkeit und
Hoffnung weisen, wie z.B. Baum, Ähre, Blume, Blüte, blaue Blume, Efeu,
Ginkgo-Baum, Kreuz, Lilie, Samenkorn, Schmetterling und Sonne (S. 197–201).
Michael von Brück
kommt sicher zugute, dass er nicht nur Religionswissenschaftler und Theologe
ist, sondern dass seine Indien-Erfahrungen sowie seine in Japan gelernte Zen-Praxis
es ihm ermöglichen, sich in andere Sterbekulturen hineinzudenken. Sein Ansatz
ist darum nicht eine Differenz-Hermeneutik zwischen Ost und West, sondern ein
abwägendes und konvergierendes Verstehen der „Einen Wirklichkeit“. Sie ermöglicht unterschiedliche kulturelle Auslegungen und Einübungen ins Sterben, aber nie müssen fundamentale Gegensätze behauptet werden.
Bilanz
Es gibt wenige Bücher,
die so umfassend und zugleich geschichtlich so grenzüberschreitend
Zeiterfahrung im Blick auf Leben, Sterben, Tod und Auferstehung bzw.
Wiedergeburt beschreiben und verdeutlichen, wie das Verlassen des Reinkarnationskreislaufs stattfindet.
Von Brück bezieht
sich dabei interessanterweise direkt und indirekt mehrfach auf  den englischen Religionsphilosophen

Diese Referenzen sind für den Theologen von Brück Impuls, die LeserInnen nicht einfach distanziert religionswissenschaftlich die
verschiedenen Antworten auf die Grundfragen von Leben, Sterben und Tod in
Vergangenheit und Gegenwart überlassen. Sie müssen auch keineswegs versuchen, „richtige“ Einordnungen in die Todesverständnisse des Mittelmeerraumes bzw. Südasiens und Ostasiens
vorzunehmen. Vielmehr lässt von Brück die Lesenden existentiell an diesen Fragen
teilhaben und lädt indirekt zu eigener persönlicher Lebensorientierung im Horizont des Todes ein. Die zahlreichen Quellen der verschiedenen Religionen zeigen nämlich an, wie kreative Hoffnung
aus der alles umfassenden, den Tod übergreifenden Wirklichkeit quillt. 

Wahrhaftig, ein
beeindruckendes Buch!



Ergänzende Hinweise

                                                                                                                     Reinhard Kirste
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