Mission und
Prophetie in Zeiten der Interkulturalität. Festschrift zum hundertjährigen
Bestehen des Internationalen Instituts für missionswissenschaftliche
Forschungen 1911-2011.
ZMR Sonderband, 95. Jg. 2011. St. Ottilien: EOS 2011,
507 S.,
Bibelstellenregister, Personenregister — ISBN 978-3-8306-7510-5 —
Internationale Institut für missionswissenschaftliche Forschungen (IIMF,
gegründet 1911) und die Zeitschrift für Missionswissenschaft und
Religionswissenschaft (ZMR) im 95. Jahrgang haben über die Jahre ein Renommee
aufgebaut und Marksteine für die Etablierung der Missionswissenschaft als
eigenständige (theologische) Disziplin gesetzt. Das IIMF und die jeweiligen Herausgeber
der ZMR (vgl.
Redaktion ZMR: www.unifr.ch/zmr/de/redaktion) haben dabei nicht nur
auf ein hohes wissenschaftliches Niveau geachtet, sondern sich auch den
veränderten Herausforderungen durch Globalisierung, Interkulturalität und
Multireligiosität gestellt.
die dieser Einrichtung verbundenen Fundamentaltheologen, Missions- und
Religionswissenschafler/innen in beobachtend-kritischem Bedenken sozusagen
selbst, verbunden zugleich mit dem Internationalen
Katholischen Missionswerk missio Aachen und der Jesuitenmission.
in die Herausgabe einbezogen waren, gibt es natürlich auch bischöfliche
Grußworte (Joachim Kardinal Meisner, Köln und Erzbischof Ludwig Schick, Bamberg).
Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft
(DGMW), der evangelische Missionswissenschaftler Dieter Becker (Neuendettelsau),
bringt in seinem Vorwort das interkonfessionelle Anliegen heutigen Missionsverständnisses auf den Punkt:
lokale Präsenz des Christentums mit regionalen Kulturen, Milieus und Religionen
interagiert (z.B. pfingstlich-charismatische Bewegungen, Befreiungstheologien,
Unabhängige Kirchen). Missionswissenschaft als Interkulturelle Theologie
reflektiert die komplexen Probleme dieser Transkulturalität des Christentums.
Auch die religiöse Pluralität in Europa verlangt neue Kompetenzen bei
interkulturellen Fragestellungen und bei der Reflexion des Christentums mit
nichtchristlichen Religionen, Weltanschauungen und Traditionen“ (S. 21).
Problemanzeigen ermutigt der Fundamentaltheologe und Ehrenvorsitzender der IIMF
Hans Waldenfels die Kirche, ihre Mission
stärker prophetisch als glaubwürdiges Lebenszeugnis neu zu vermitteln. Im Buch
geschieht das nun durch die Orientierung an vier Schwerpunkten: Menschenwürde, Dialog, Interkulturalität,
Perspektiven der Missiologie.
Gleich der erste Beitrag des brasilianischen Missionswissenschaftlers Paulo Suess stellt die lange gängige,
imperiale Missionspraxis in Frage und fordert dazu heraus, im Sinne Jesu die
prophetischen Rufe nach Gerechtigkeit als Wesensmarkmal der Mission praktisch
umzusetzen. Ebenfalls ein neues humanistisches Verständnis sieht der
Mitherausgeber Michael Sievernich (Mainz)
durch das Vaticanum II gegeben. Im Zeitalter der Globalisierung muss dieser
humanitäre Ansatz für eine „bessere“, also „gerechte Welt“ durch die Mission
vor Ort realisiert werden. Günter Riße (Vallendar)
betont, wie wichtig prophetisches Auftreten in der Gegenwart ist. Er
verdeutlicht dies an heutigen ProphetInnen: Charles de Foucault, Alfred Delp,
Madeleine Debrêl. In die Missionsgeschichte zurück geht der Mitherausgeber Mariano Delgado (Fribourg, CH): An der
berühmt gewordenen Adventspredigt des Dominikaners Antonio Montesinos von 1511 gegen die Unterdrückung der Indígenas und
dem mutigen Handeln des Bartolomé de las Casas (1484/85 – 1556) vor Staat und Kirche wird die prophetische
Notwendigkeit offenkundig, sich für Unterdrückte und Ausgebeutete einzusetzen. Solches
Engagement – im Sinne der Option für die Armen – ist selbst heute für die
Mächtigen oft ein Ärgernis. Auch Johannes
Meier (Mainz) geht den kolonialismuskritischen und indiofreundlichen Stimmen im Rahmen der
ersten Bistumsgründungen in Amerika nach.
The Asian Churches“, der ein konsequentes Dienen an der Welt und für die Welt
voraussetzt, und zwar durch den Dialog mit den Armen für Befreiung und
integrale Entwicklung. Motiviert durch Johann Baptist Metz weist Margit Eckholt (Osnabrück) auf den engen
Zusammenhang von interkulturellem Dialog und Befreiungstheologie hin, und zwar
nicht nur unter der Perspektive von „Passion und Com-Passion“, sondern auch im
Blick auf feministische Impulse aus Einrichtungen, die den Basisgemeinden
nahestehen. Hier lassen sich Spuren einer neuen prophetischen Theologie erkennen.
den Ureinwohnern und den afrikanischen Sklaven am Beispiel von Neugranada in
der Andenregion. Virginia R. Aczuy (Argentinien)
entdeckt in den urbanen Situationen in Lateinamerika eine wachsende
Spiritualität an den Rändern oder jenseits der etablierten Kirche. Diese
Neuaufbrüche können für die Kirche als Bedrohung wirken, sie sind jedoch eine
Chance für die Erneuerung des Christentums.
Das nächste Beispiel von Marco Moerschbacher, (missio Aachen)
zeichnet die „Evangelisierungsgeschichte“ des Kongo von der belgischen
Kolonialzeit bis zur Unabhängigkeit nach. Es erhellt besonders die „Afrikanisierung“
der Kirche und damit die Revision bisheriger christlicher Traditionen.
Chancen, Problemen und Veränderungen nach. Der renommierte Dialogiker Francis X. D’Sa, (Pune, Indien) setzt
seine hermeneutischen Überlegungen im Sinne der faktischen Interaktion von
Kulturen an, die er mit dem Wirken des Heiligen Geistes verbunden sieht. Aber
nicht die Nivellierung der Kulturen und Religionen kann das Ziel sein, sondern
das Herausarbeiten der jeweiligen Einzigartigkeiten z.B. im Geschichtsverständnis
Europas und Indiens. Es muss gelten, dass die Verschiedenen auch verschiedene
Glaubenszentren haben, der Hl. Geist also unterschiedlich wirkt.
Religionsfreiheit als prophetisches Zeugnis mit einem kritischen Durchgang vom
Alten Testament bis zum 2. Vatikanischen Konzil. Ulrich Dehn (Hamburg) setzt sich mit interreligiösen Begegnungen –
im Sinne von Friedens-„Inszenierungen“ – auseinander, und zwar bei Abaelard,
Ramon Llull und Nikolaus von Kues. Aber auch die Religionsgespräche des
Großmoguls Akbar und schließlich das Weltethos-Programm von Hans Küng zeugen
von der Suche nach Gemeinsamkeiten. Claudia
von Collani (Münster) geht den verschiedenen Formen von Religionsgesprächen
nach – ähnlich wie Ulrich Dehn, um dann allerdings auf die tolerantere
Situation im Fernen Osten einzugehen, die durch die religiöse Sensibilität der
Ostasienmissionare mit geprägt wurde.
die FABC (Federation of Asian Bishop’s Conferences), dass die ganzheitliche
„integrale Evangelisierung“ der Kirche als entgrenzenden Schlüssel den
interreligiösen Dialog braucht. Für diesen Dialog hat die FABC in Konsequenz
aus dem Zweiten Vaticanum einen
„Dekalog des Dialogs“ entwickelt.
dagegen abgrenzend in Hinsicht auf den religiösen Pluralismus im Kontext der
Befreiungstheologie. Das erlaubt zwar eine Anerkennung des Pluralismus der
Religionen, aber die z.B. von Paul Knitter und John Hick vertretene pluralistische
Religionstheologie bietet ihm nicht genügend Anhalt für die Einbeziehung der Lebenswelt
der Armen in eine Theologie der Religionen. Der Jesuit Felix Körner (Rom) sucht nach Kriterien für eine Prophetologie, um
von daher das Prophetische des Islams einschätzen zu können.
Religionsphänomenologisch ist der Islam zwar prophetisch, Körner aber grenzt
das Prophetische auf die Ankündigung des Christusereignisses ein. Der Islam hat
hier allerdings eine „Prädispositions“-Kraft.
III. Interkulturation und Interkulturalität
Das vorletzte Kapitel lässt sich im Grunde nicht deutlich vom vorangegangenen Kapitel abgrenzen,
denn Interkulturalität und Kontextualisierung haben auch immer eine interreligiöse Perspektive.
Die christlichen Basisgemeinden haben die Impulse des Vaticanum II kreativ umgesetzt. Klaus
Vellguth (Vallendar), bezieht sich auf die Südafrika- und Asien-Missionare
Oswald Hirmer („Vater des Bibel-Teilens“), und Fritz Lobinger, um die aus
solchen Impulsen erwachsenen kleinen christlichen Gemeinschaften in Asien mit
ihrem „Gospel Sharing“ näher zu beschreiben. Der schon erwähnte
Missionswissenschaftler Dieter Becker
setzt einen hermeneutischen Schwerpunkt, indem er ausführlich auf den
Zusammenhang von Sprachverstehen und sachgemäßer Übertragung der Bibel in die
Lebens- und Denkformen anderer Völker eingeht und den jeweils eigenständigen
kulturellen Bezugsrahmen sichern möchte. Der polnische Missiologe Wojciech Kluj setzt im Grunde Beckers
Überlegungen fort, und zwar bezogen auf die prophetisch-sprachintensive
Dimension der biblischen Übersetzbarkeit und des liturgischen Transfers in die
indigenen Sprachen.
zur Sprache kommen, der sich einmal stärker buddhistisch, das andere Mal stärker
konfuzianisch sowohl literarisch wie modemäßig „akkomodierte“. Das tut Gianni Criveller (Hongkong), indem er
Ricci in die Nähe des Völkerapostels Paulus rückt. David Neuhold, (Fribourg, CH) stellt den Hugenotten Pierre Bayle
(1647-1706) als einen an Dialog und Bildung orientierten Botschafter einer friedfertigen
Mission vor. Dies zeigt Bayles literarisch fiktiv-originelle Szenerie am
Kaiserhof in China. Sein Commentaire philosophique ist zugleich eine scharfe Kritik an der katholischen Missionsarbeit
und der katholischen Kirche in Frankreich.
Klaus Koschorke (München) zu, der überwiegend an afrikanischen Beispielen die
Frage indigener Bischöfe thematisiert, besonders an Samuel Ajayi Crowther (um 1809 – 1891)
einer Afrikanizität des Christentums mit interreligiösen „Kontaktzonen“ bis
weit hinein in die traditionalen Religionen. Der Kapuziner Othmar Noggler (München) nimmt das Lebensrecht
der chilenisch-argentinischen Mapuche-Indianer in den Fokus, besonders den „Indianeradvokaten“ Siegfried von
Frauenhäusl (1868-1954). Er spricht damit auch aktuell die vorrangige „Option
für die Armen“ an.
Iran bis hin zur problematischen (westlichen) Mission unter Muslimen zur
Sprache. Norbert Hintersteiner (Dublin) lässt keinen Zweifel daran, dass vor dem mittelöstlichen Hintergrund
ein interreligiöses Missionsverständnis unabdingbar ist.
IV. Perspektiven der Missiologie:
Beim Durchforsten der oft ausgesprochen spannenden, keineswegs nur geschichtlich einzuordnenden Beiträge,
stellt sich unausweichlich die Frage: Wohin geht die Missionswissenschaft (Missiologie)?
Hier finden sich folgende Orientierungsmarken:
Notwendiges ekklesiologisches „Eintauchen“ in die anderen religiösen Welten (Franz Gmainer-Pranzl, Salzburg) /
Abschied von der Kolonialmission, Mission als missio Dei im Sinne ganzheitlicher Befreiung
und theologischer Neuzuordnung (Giancarlo Collet und Ludger Weckel, beide Münster) / Plädoyer für einen überzeugenden Glauben im Sinne einer missionarischen Kirche (Hildegard Wustmans, Linz) / Von der Mission zur „Neu-Evangelisierung“ von den lateinamerikanischen Wurzeln her und in der Linie des Missionsdekrets Ad Gentes von 1965 (John F. Gorski, Cochabamba, Bolivien) / Notwendige ethnologische Grundlagenforschung für Missionare und Missiologen (Joachim G. Piepke SVD, St. Augustin) / Vom Gegeneinander der Konfessionen in den „Missionsgebieten“ zur einer Ökumene der versöhnten Verschiedenheit im Blick auf Religionsfreiheit, Weltfrieden und Menschenrechte (Eric Englert, missio, München) / Die konstruktiven Veränderungswirkungen der Kirchen Asiens im Missionsverständnis durch das Vaticanum II und die Neuerungen in der Theologie der Religionen als Aufgabe (Georg Evers, missio Aachen). Als Besonderheiten stehen am Schluss die kontroverse Debatte um das Verständnis von „Akkomodation“ aufgrund der Ausweisung von Steyler Missionaren aus der Volksrepublik China nach 1949 (Karl Josef Rivinius SVD, St. Augustin) sowie eine Würdigung des missionswissenschaftlichen Vordenkers Theodor Grentrup (1878–1967)
durch Paul B. Steffen SVD (Rom).
Resümee: In diesen Beiträgen treffen wichtige und kompetente Vertreter in „Sachen Mission“ zusammen sowie sehr fortschrittliche, teilweise angefeindete Denker von der lateinamerikanischen Befreiungstheologie und engagierte Dialogiker Asiens. Dadurch entsteht ein Mosaik der Aufbrüche im Missionsverständnis mit praktischen Auswirkungen, die seit dem Vaticanum II besonders den indigenen Lebenswelten des christlichen Glaubens und interreligiöser Begegnung in Respekt und Verantwortung zueinander zugutekommen.
Missionsverständnisses angesichts auch religiöser Globalisierung keineswegs abgeschlossen ist.
