Angesichts des wahabitischen Fundamentalismus: Sollen Muslime die Pilgerfahrt nach Mekka boykottieren?

Domradio Köln, 05.02.2018

Miniatur (16.Jh.): Die Kaaba in Mekka
als Mittelpunkt der Welt
Cover des Arbeitsbuches für Sek. II
Düsseldorf: Patmos 1998 (Foto: Interreligiöse Bibiothek)
Islamprofessor ruft zum Boykott der Kaaba in Mekka auf: „Islam als zivile Religion schützen“
 
Die Kaaba in Mekka bildet als „Haus
Gottes“ das zentrale Heiligtum des Islams und gilt als elementares
Pilgerziel. Umso bemerkenswerter ist der Vorschlag des
Islamwissenschaftlers Ahmad Milad Karimi, den Besuch der Kaaba zu
boykottieren.


„Die Kaaba zu boykottieren ist heute die religiöse Pflicht aller
Muslime, die gegenüber all den Perversionen nicht gleichgültig bleiben
wollen, die die sektiererischen Wahhabiten treiben“, sagte er dem
Evangelischen Pressedienst (epd).

Glauben mit Mitteln des Friedens zurückerobern
Es schmerze, die Kaaba zu boykottieren, weil sie zugleich ein
religiöser Sehnsuchtsort der Muslime sei, sagte der Professor am Zentrum
für Islamische Theologie Münster. „Sie muss jedoch leer bleiben, damit
wir mit unserer religiösen Revolte unseren Glauben mit Mitteln des
Friedens zurückerobern.“ Es sei Zeit, Bequemlichkeit und Faulheit hinter
sich zu lassen und den Islam als eine zivile Religion im Dienste der
Menschheit gegen Extremisten und Fundamentalisten zu schützen.

Die heiligen Stätten der Muslime in Mekka und Medina im heutigen
Saudi-Arabien seien eigentlich autonome Gebiete, die keine Nation für
ihre eigenen Machtinteressen oder gar Ideologie instrumentalisieren
darf, schreibt Karimi in seinem Buch „Warum es Gott nicht gibt und er
doch ist“, das an diesem Montag im Freiburger Herder-Verlag erschienen
ist, dazu erklärend.

Der gebürtige Afghane ermutigt dazu, Gott zu hinterfragen. „Wer
glaubt, der hadert mit Gott“. Die Frage nach Gott werfe einen zurück zu
der Frage, was man selbst sei – oder besser: sein soll. Wer glaube, der
ruhe nicht, sondern wolle das Gute, das Gerechte, das Schöne, sagte er
im epd-Gespräch.

Islam als „Religion der Liebenden“
Außerdem sprach er sich für mehr Religion in der Gesellschaft und im
öffentlichen Raum aus. „Die Religion muss präsent sein, Gesicht zeigen,
sich politisch einmischen, an der Gestaltung und an dem Zusammenhalt der
pluralen Gesellschaft partizipieren“. Und zwar nicht nur als bloße
Stimme der Distanzierung von Gewalttaten, als leere Worte eines
Gottesdienstes, sondern als Wagnis für den Frieden und ein fruchtbares
Miteinander.

In seinem Buch schreibt Karimi von dem Islam als „einer Religion der
Liebenden“. Diese Formulierung sei kein Wunschdenken, sondern eine
Interpretation, die in Dialog und Auseinandersetzung mit der islamischen
Geistestradition vollzogen wird: „Ob meine These plausibel ist,
bewahrheitet sich dann, wenn wir Muslime unser Leben nach dieser Maxime
gestalten.“




Judith Kubitscheck
(epd) 
Zur Information: Wallfahrt nach Mekka: Haddsch (Hajj)

Die Wallfahrt nach Mekka, arabisch
Haddsch, ist eine der fünf Grundpflichten des Islam. Laut Koran soll
jeder Muslim und jede Muslimin einmal im Leben die heiligen Stätten
besuchen, sofern er oder sie gesundheitlich und finanziell dazu in der
Lage ist. Der Haddsch findet jährlich an den festgelegten Tagen des
islamischen Monats Dhu l-hidscha statt. Zuvor begibt sich der Pilger in
einen rituellen Weihezustand (ihram), äußerlich erkennbar an der
Kleidung aus weißen Tüchern.


Während der rund siebentägigen Pilgerfahrt folgt eine Reihe genau
festgelegter Rituale wie das siebenmalige Umschreiten der Kaaba sowie
die Wanderung und das Gebet an bestimmten Orten der Umgebung.


Höhepunkt ist am 10. Dhu l-hidscha der Beginn des viertägigen
Opferfestes, des höchsten islamischen Feiertags, der an Abrahams
Bereitschaft zur Opferung seines Sohnes erinnert und von Muslimen
weltweit gefeiert wird. Von den Tausenden geschlachteten Opfertieren
essen die Pilger nur einen Teil und spenden den Rest an die Armen.


Wer die Wallfahrt absolviert hat, genießt unter Muslimen hohes
Ansehen und darf den Ehrentitel „Hadschi“führen. Moderne Verkehrsmittel
und der gewaltige Ausbau der Infrastruktur durch Saudi-Arabien
ermöglichen heute Pilgerzahlen von rund zwei Millionen pro Jahr. Für das
Königreich ist die Wallfahrt somit auch ein riesiger Wirtschaftsfaktor.

(kna) — 05.02.2018